Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 22.09.16 |
von Hugo Müller-Vogg
Für eine
wirkliche Überraschung haben die Berliner Wähler nicht gesorgt: Die beiden so
genannten Großen, also SPD und CDU, mussten starke Einbußen hinnehmen, die AfD
ist in das zehnte Landesparlament eingezogen – und die Republik rückt weiter
nach links. Denn dank des AfD-Erfolges gibt es in Berlin nur eine einzige
realistische Koalitions-Option: SPD, Linke und Grüne.
Die SPD ist mit einem Verlust von rund 7 Punkten nicht gerade ein
strahlender Wahlsieger. Aber der Absturz der CDU auf knapp 18 Prozent ist nicht
weniger dramatisch. Ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl
seit der Wiedervereinigung erzielte die CDU Anfang 2015 in Hamburg mit 15,9
Prozent. Mit 17,6 Prozent liegt die Berliner CDU nun in der „Loser-Tabelle“ auf
Platz 2. Man muss schon in die 1950er-Jahre zurückgehen, um noch schlechtere
CDU-Zahlen zu finden, etwa die 9 Prozent im Jahr 1951 oder die 14,8 Prozent
1959 in Bremen.
Nun ist es nicht außergewöhnlich, dass die Kanzlerpartei bei
Landtagswahlen Stimmen und Regierungsbeteiligungen einbüßt. Das war schon bei
Helmut Kohl (CDU) so und bei Gerhard Schröder nicht anders. Doch dieses Mal ist
der Abstieg der einstigen „strukturellen Mehrheitspartei“ CDU jetzt noch
deutlicher als in der Ära Kohl. Als Angela Merkel im Herbst 2005 als Kanzlerin
vereidigt wurde, stellten CDU/CSU 11 von 16 Ministerpräsidenten und war an
insgesamt 13 Landesregierungen beteiligt. Jetzt stellt die Union noch 5
Ministerpräsidenten und wird nach Bildung der neuen Berliner Koalition nur noch
in 2 weiteren Regierung vertreten sein. So schwach wie nach 11 Jahren Merkel
war die CDU nicht einmal nach 16 Jahren Kohl. Zum Vergleich: Wenn die Grünen in
den Berliner Senat einziehen, wird die einstige Ökopartei in 11 Ländern
mitregieren.
Wie gesagt: In der Bundeshauptstadt stehen die Zeichen auf „r2g“.
Rechnerisch gäbe es noch andere Koalitionsmöglichkeiten: „Kenia“ mit SPD, CDU
und Grünen, eine „Deutschlandkoalition“ mit SPD, CDU und FDP oder eine „Ampel“
aus SPD, Grüne und FDP. Das ist aber angesichts der wenig produktiven
Zusammenarbeit von SPD und CDU in den vergangenen fünf Jahren nicht
realistisch. Man darf also getrost davon ausgehen, dass den Sozialdemokraten
dieses Ergebnis ganz recht ist, um die CDU endlich loszuwerden. Und da es weder
für Rot-Schwarz noch für Schwarz-Grün reicht, kann die SPD die umbenannte und
gehäutete SED freudig mit ins Boot nehmen – sozusagen aus staatsbürgerlicher
Verantwortung.
Rot-Rot-Grün im Berliner Abgeordnetenhaus kann man damit nur schwer als
bewusste Vorentscheidung für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl 2017
interpretieren. Es hat sich – dank der AfD – halt so ergeben. Gleichwohl wird
Sigmar Gabriel darüber sehr glücklich sein. Berlin wird nach Thüringen und
Brandenburg das dritte Land, in dem SPD und Linke gemeinsam regieren. Und jede
rot-rote oder rot-rot-grüne Landesregierung ist natürlich eine Vorbereitung auf
das große Ziel: eine SPD-geführte Bundesregierung.
Auch wenn es grotesk erscheinen mag: SPD und Grüne verlieren bei fast
allen Landtagswahlen und stehen – machttechnisch gesehen – hinterher stärker
da. Erreicht hat das die AfD, die sich als sechste Partei auf absehbare Zeit
etabliert hat und den anderen Parteien so viele Stimmen wegnimmt, dass die
klassischen Koalitionsmodelle Schwarz-Gelb oder Rot-Grün zahlenmäßig nicht mehr
funktionieren. Selbst der Glaubenssatz der alten Bonner Republik, „für eine
Große Koalition reicht es immer“, wurde bereits im Frühjahr in
Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt widerlegt – und jetzt auch in Berlin.
Die AfD wollte das Land nach rechts rücken. Tatsächlich hat sie seit der
Bundestagswahl 2013 schwarz-gelbe Bündnisse nahezu unmöglich gemacht und damit
SPD, Grüne und Linke gestärkt. Und das ist die Erfolgsliste der AfD bei der
Linksverschiebung der Republik:
-In Berlin dürfen jetzt die Linken wieder mitregieren.
-In Sachsen-Anhalt schafften es die Grünen in eine
„Kenia“-Koalition.
-In Baden-Württemberg schwächten sie die CDU so sehr, dass
die Grünen den Ministerpräsidenten stellen können.
-In Sachsen rückten statt der abgewählten FDP die
Sozialdemokraten in die Regierung ein.
-In Hessen und Hamburg schafften es die Grünen ebenfalls –
mit indirekter AfD-Unterstützung – zurück an den Kabinettstisch.
Die AfD macht Wutbürger mit Erfolg zu Wutwählern. Wer es in erster Linie
„denen da oben“ zeigen will, der schert sich nicht um die Wirkung seiner
Stimmabgabe. Das führt zu einer grotesken politischen Arithmetik: Je stärker
die AfD, umso wahrscheinlicher wird Rot-Rot-Grün. Anders ausgedrückt: Die
Rechtspopulisten von der AfD und ihre Wähler rücken die Republik immer weiter
nach links. Quod erat demonstrandum.
Der Text erschien auf Tichys Einblick
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.