Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 30.09.16 |
Die politische Haltung vieler Intellektueller im 20. Jahrhundert zeigt: Brillanz schützt vor Torheit nicht. Gegen die autoritäre Versuchung war ihr ganzer Geist machtlos. Der Philosoph Mark Lilla geht der Verwandtschaft von Kopfarbeit und Tyrannis auf den Grund.
von Moritz Rudolph
(Rechts-)Populismus
ist derzeit sehr erfolgreich. Unter Gebildeten und Halbgebildete aber genießt
er kein hohes Ansehen. Sie finden ihn primitiv und platt, halten ihm vor, er sei
plebiszitär und autoritär zugleich, biete „einfache Lösungen“ für „komplexe
Fragen“ an, beschwöre ein Volk, entwerfe klare, verkürzte Feindbilder und setze
auf Emotionen statt Vernunft. Mithin schade er der politischen Kultur.
Schon
werden Rufe laut, es brauche ein Engagement gegen die Enragierten. Schon rotten
sich die Gralshüter der verwalteten Gegenwart zusammen und fordern mehr Geist.
An diesen heften sich nämlich ihre tiefsten Hoffnungen zur Entgiftung des
politischen Klimas. Sie wollen mehr Bildung, sie wollen mehr Einsicht, sie
wollen mehr Verstand, nicht länger nur für sich – schließlich besitzen sie all
das schon – sondern nun endlich auch für alle anderen. Die wohlüberlegte
Abwägung aller Argumente erscheint ihnen als Gewähr der vernünftigen und
maßvollen politischen Haltung. In einer Gesellschaft, die an Habermas glaubt
und sich dem „zwanglosen Zwang“ des besseren Arguments verschrieben hat, ist so
eine Ansicht kein Wunder. In ihr wirdmit umfassender Bildung unterfütterte Geistesschärfe zum Bollwerk gegen
die politische Tölpelei und den unüberlegten Exzess. Maßhalten wird zur Sache
des Verstandes, weniger der Ästhetik.
Der
Feindesfeind als Freund?
Wie
kann man – bei näherer Betrachtung seiner Gegner – auch nicht an die
seligmachende Wirkung des gebildeten Verstandes glauben? Man beachte nämlich
nur einmal, wer sich da gegen den Intellekt stellt und stattdessen auf Gefühl,
Wut, Zorn und die unmittelbare Einsicht setzt. Wessen Furor sich da am Geist
entzündet. Wer den „gesunden Menschenverstand“ gegen das unnötig
verkomplizierende „Geschwurbel“ der Intellektuellen in Stellung bringt:
„Schluss mit dem dialektischen Krempel! Jetzt wird Klartext geredet!“. Es sind
die rechtspopulistischen Bewegungen und ihre parlamentarischen Arme, die so
reden. Und wenn der echauffierte Haufen schrill und aggressiv kreischt, muss
dann nicht das Gegenteil davon richtig sein? Muss dann nicht der Geist, den sie
angreifen, das sein, was uns vor der Tyrannei, die sie ja wollen, bewahrt?
Brillanz
schützt vor Torheit nicht
Nicht
unbedingt. Die Geschichte hält hier einige Lehrstücke bereit, die zeigen:
Gerade die, die die Dinge ein bisschen komplizierter machen, als sie gemeinhin
diskutiert werden, haben sich nicht selten denen angedient, die versprachen,
den gordischen Knoten der Komplikation zu zerschlagen. Intellektuelle und
Tyrannen kamen gut miteinander aus. Sie waren weder primitiv noch platt,
sondern ungeheuer geistreich – geistreich und autoritär. Im
antiintellektualistischen Getöse der neuen populistischen Bewegungen droht dies
unterzugehen: Dass ausgerechnet die großen Intellektuellen erstaunlich oft der
autoritären Versuchung erlagen. Der amerikanische Philosoph Mark Lilla zeigt in
seinem vor einigen Monaten auf Deutsch erschienen Buch „Der hemmungslose Geist.
Die Tyrannophilie der Intellektuellen“ in sechs Fallstudien, wie es dazu kommen
konnte. Seine Beweislast ist erdrückend: Meisterdenker Heidegger suchte Heil
und Erdung im konkret-dumpfen Blut-und-Boden-Kult der Nazis, den er als
machtvolle Gegenbewegung zur abstrakt-mechanischen und jüdisch-entwurzelten
Zivilisationswelt bejubelte. Der große Carl Schmitt sah das ähnlich und bildete
sich sogar ein, „den Führer führen“ zu können, wurde „Kronjurist des Dritten
Reiches“ und als Hitler nach dem vermeintlichen Röhm-Putsch 1934 mit aller
Härte gegen die letzten innerparteilichen Konkurrenten losschlug, da schrieb
Schmitt: „Der Führer schützt das Recht“ – und setze es zugleich. Kojève, der
brillante Kojève, verteidigte leidenschaftlich die Notwendigkeit der Tyrannis
und sah sich als der „Stalin begreifende Philosoph“. Das Genie Sartre hegte
Sympathien für die vollkommen ungenialische RAF, traf sich mit Fidel und
bezeichnete die Castroiten ganz verzückt als die legitimen „Söhne“ seiner
Philosophie. Foucaults alleszermalmender Intellekt hielt ihn nicht davon ab,
sich 1979 unsterblich in die Islamische Revolution zu verlieben, diesen
Aufstand „von Menschen mit bloßen Händen“ gegen die von ihm so sehr verachteten
„gemäßigten Technokraten“ einer islamischen Modernisierung. Sein Fazit: „Das
ist vielleicht die erste große Erhebung gegen die weltumspannenden Systeme, die
modernste und irrsinnigste Form der Revolte.“ Er fand das gut. Brillanz schützt
offenbar vor Torheit nicht.
Was
waren die alle gebildet! Sie standen auf den Schultern von Riesen, sie trugen
im Kopf das ganze Abendland mit sich herum, was sie aber nicht davon abhielt,
es gedanklich aufsprengen zu wollen.
Weisheit,
Wahrheit, Macht
Wenn
man nun davon ausgeht, dass das keine Idiosynkrasien und Betriebsunfälle der
Geschichte waren, so muss man fragen, was genau diese Intellektuellen in die
Arme der Tyrannei trieb, ob der Wahnsinn Methode hatte. Lilla sagt ja, hatte
er. Er entdeckt einen „uralten, irrationalen Impuls, das Kommen des
Gottesreiches in der Welt zu beschleunigen“. Dieser Impuls entspringt dem ungezügelten
„Eros“. Ins Zentrum rückt hier also nicht der Verstand, sondern eine andere
Frage: Was begehrt man? Welchem Ziel gilt die Liebe, dem man erst nachträglich
durch gekonnte Gedankenkonstrukte die Weihen der Vernunft verleiht? „Der
Philosoph und der Tyrann, die höchste und die niederste menschliche Lebensform,
sind in einem perfiden Spiel der Natur durch die Macht der Liebe verbunden“.
Der Tyrann liebt die Macht, der Philosoph die Weisheit. So verschieden ist das
nicht. Denn weil es spätestens in der Moderne – und da ist diese ganz
marxistisch – darauf ankam, die Welt nicht mehr bloß zu interpretieren, sondern
sie zu verändern, braucht der Weisheitsliebende die Tat und dazu die Macht, er
braucht den Tyrannen, der durchregiert, um überhaupt erst zu sich selbst zu
kommen. Aus der Liebe zur Weisheit wurde die zur Wahrheit, zur praktischen
Wahrheit. Zunächst muss die Analyse konkret werden, denn, noch einmal Marx, „Philosophie
und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Geschlechtsliebe.“
Doch damit ist es noch nicht getan, zur vollendeten Diesseitswerdung der Idee
gehört auch, dass sie einen möglichst umfassenden politischen Anspruch erhebt,
dass sie praktisch wird, denn die Wahrheit verwirklicht sich in der Welt, oder
sie ist gar nicht.
Die
Feier des schaffenden Geistes
Lilla
schreibt, dass diese Verbindung nicht neu ist, sondern schon am Anfang der
abendländischen Geistesgeschichte stand: „Man muss gar nicht Sartres
narzisstischem Mythos über den Intellektuellen als Helden aufsitzen, um zu
sehen, was Platon schon vor langer Zeit erkannte: Dass es im menschlichen Geist
eine Beziehung gibt zwischen dem Streben nach Wahrheit und dem Wunsch, zur
‘Ordnung der Städte und Haushaltungen’ beizutragen“. Eine alte Sache also.
Wirklich neu am 20. Jahrhundert ist dagegen das vielleichtumfassendste Machbarkeitsversprechen, das
sich die Menschheit je gegeben hat. Vorbereitet wurde es von langer Hand: Die
Aufklärung hat die Menschen als Herren der Welt eingesetzt, das 19. Jahrhundert
lieferte scheinbar den Beweis dafür, dass fortschreitende Naturbeherrschung
durch Staat, Kapital und Technik tatsächlich möglich ist. Das 20. Jahrhundert
steigerte den Gestaltungswillen noch einmal bis hin zur totalen Mobilisierung
der wirtschaftlichen, technischen und psychosozialen Kräfte. Alles war möglich,
wenn Geist und Wille nur zusammenkamen. Sartre dazu: „Alles, was wirklich ist,
ist Praxis, und alles, was Praxis ist, ist wirklich“. Die Möglichkeit der
totalen Konstruktion verlangte den totalen Konstrukteur. Für die, die nach
Wahrheit suchten, war das eine aufregende Entwicklung, die sie nicht verpassen
durften. Aber man hatte auch ein Interesse daran, dass diese Kopfmenschen sie
nicht versäumten, schließlich brauchte man sie, um die Sache klug klingen zu
lassen. Die hemmungslose Feier des menschlichen Geistes, die die Moderne
veranstaltet, lässt gerade die geistvollsten Exemplare nicht unberührt; sie
schmeichelt ihnen, denn es geht ja um sie, um ihr Metier, da kennen sie sich
aus, dazu können sie Gewichtiges beitragen; da machen sie gern mit.
Das
Volk, der große Lümmel
Die
Sehnsucht nach dem starken Mann steht hier mit einem messerscharfen Verstand
und einem Bildungsüberschuss im Bunde, nicht mit einem Mangel daran. Wer am
Absoluten Interesse zeigt, interessiert sich irgendwann auch für den Tyrannen.
Der eine hat den Willen zum Wissen, der andere den zur Macht; beiden ist die
träge Masse nur dumpfer, roher Stein, der behauen werden muss. Das Volk, der
große Lümmel, ist bloß geschichtsphilosophische Verschiebemasse, Geburtshelfer
ihrer großen Ideen und Kräfte. Offenbar sind die gedankliche Durchdringung
eines Stoffes und die politisch totale Durchdringung der Gesellschaft eng
miteinander verwandt. Zusammen können sie großes Unheil anrichten: Der Tyrann
unterdrückt und der Intellektuelle veredelt es nachher philosophisch oder
sonstwie. Öffentliche Kritik wird somit fast verunmöglicht, schließlich hat der
Tyrann die Vernunft auf seiner Seite – wer will schon dagegen anreden?
Rive
Gauche gegen Rive Droite
Wie
kommt man nun da heraus, was durchbricht den Legitimationskreislauf? – Immer
wieder Gewaltenteilung. Philosophen dürfen keine Könige werden, mehr noch:
Nicht einmal zum königlichen Berater taugen sie besonders gut. Rive Gauche und
Rive Droite, Geist und Macht, müssen sich unversöhnlich gegenüberstehen. Nur
dann gibt es eine Balance, nur dann fürchtet Napoleon „drei Zeitungen mehr als
hundert Bajonette“, nur dann können Kopfarbeiter jene kritisch-subversive
Funktion erfüllen, die ihnen einst die abfällige Bezeichnung „Intellektuelle“
eingebracht hat, als tagein tagaus kontemplierende Geister, die ihren
Elfenbeinturm allenfalls zum öffentlichen Nörgeln verließen – um sich dann auf
die Seite der Schwachen, Geknechteten und Bedrohten zu schlagen. Aus dem einstigen
Schimpfnamen haben die Intellektuellen eine Selbstbezeichnung gemacht, die sie
seither mit Stolz tragen. Sie waren meist ein wenig kauzig, stets unbequem und
an Herrschaft nicht interessiert, im Gegenteil versuchten sie diese zu
demaskieren, wo sie illegitim wurde – was sie ja oft war – oder sich zu sehr an
einer Stelle konzentrierte. Ein anarchischer Zug gehörte unbedingt dazu.
Was
für Intellektuelle richtig ist, gilt wohl auch für alle anderen: Autoritäre
Bildungsbürger gibt es genug; die Fähigkeit zur Kritik und – wenn nötig – der
Gestus der Subversion dürften mindestens ebenso wichtig sein wie umfassende
Bildung oder ein scharfer Verstand. Denn die allein bewahren uns nicht vor der
autoritären Versuchung, die da gerade von überall hereinbricht.
Mark
Lilla: „Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen“, München
2015.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.