Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 11.10.16 |
von Michael Lausberg
Die Ukraine ist seit Jahren in einer politischen und wirtschaftlichen
Krise, im Norden des Landes finden weiter Kämpfe statt. Hier eine Einschätzung
der aktuellen Lage:
Im Februar 2016 waren zwei Jahre vergangen, seitdem der ukrainische
Präsident Viktor Janukowitsch aus der Hauptstadt des Landes geflohen war. Er
war nach zunehmend gewalttätiger werdenden Straßenprotesten, die mehrere Monate
andauerten und von den Vereinigten Staaten sowie ihren europäischen Verbündeten
unterstützt wurden, gewaltsam entmachtet worden.
Obwohl Janukowitsch gerade eine Abmachung mit Oppositionsführern
unterzeichnet hatte, die von europäischen Diplomaten ausgehandelt wurde, um die
Krise angeblich zu lösen, entzog ihm das Parlament in Kiew die Amtsgewalt. Nach
tagelangen schweren Kämpfen mit Sicherheitskräften der Regierung übernahm der
Rechte Sektor die Kontrolle über das Stadtzentrum. Bei der Gruppierung handelte
es sich um eine neofaschistische Miliz, aufgebaut von Politikern, die führend
an den Protesten auf dem Kiewer Maidan beteiligt waren. Der Rechte Sektor
erklärte, er akzeptiere keine Übereinkunft, die Janukowitsch erlauben würde, an
der Macht zu bleiben.
Die Bewegung zum Sturz der gewählten ukrainischen Regierung wurde im
November 2013 in Gang gesetzt, als Janukowitsch in letzter Minute einem
Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union die Unterschrift verweigerte.
Er fürchtete, dass das von der EU geforderte Strukturanpassungsprogramm die
überwiegend russischsprachigen östlichen Industrieregionen der Ukraine schwer
treffen würde. Dort hatten Janukowitsch und seine Partei der Regionen
traditionell ihre Wählerbasis. Es bestand die Gefahr einer sozialen Explosion
gegen sein korruptes und bereits unpopuläres Regime. Stattdessen entschied
Janukowitsch dann, einer Zollunion mit Russland beizutreten. Russland bot
Kredite sowie Handelsvorteile und fortgesetzten Zugang zu Erdgas unter
Marktwert an.
Daraufhin mobilisierten Oppositionsparteien mit Verbindungen zu Washington
und zu verschiedenen Flügeln des europäischen politischen Establishments
Demonstrationen. Die Proteste, die sich gegen Janukowitschs
Oligarchenherrschaft richteten, fußten auf antirussischem Chauvinismus und der
Politik des freien Marktes. Getragen wurden sie von einer Schicht der
Wirtschaftselite und bessergestellten Bevölkerungsteilen, die nicht länger von
der offiziellen Politik ausgeschlossen sein wollten und sich Vorteile von
engeren Bindungen an die EU erhofften.
Die Maidan-Demonstrationen, auf denen formlose Slogans gegen Korruption und
das Establishment skandiert wurden, mobilisierten eine gewisse Unterstützung in
breiteren Schichten der Bevölkerung. Dies war insbesondere zu Beginn und noch
einmal zu einem späteren Zeitpunkt der Fall, als die Regierung versuchte, die
Proteste zu unterdrücken. Allerdings zogen die Maidan-Demonstrationen – in
einem Land von 45 Millionen Einwohnern – zu ihrem Höhepunkt nicht mehr als
300.000 Menschen an. Als eigenständige Klasse nahmen die Arbeiter des Landes
nicht daran teil und traten auch sonst nicht in Erscheinung: weder
organisierten sie Massenstreiks noch Arbeitskämpfe zu ihrer Unterstützung.
Der politische Charakter der Maidan-Bewegung wurde schnell deutlich.
Repräsentanten ukrainischer ultra-nationalistischer und neofaschistischer
Parteien betraten Hand in Hand mit den Superreichen des Landes die Bühne. Der
ukrainische Boxer Vitali Klitschko, mit einem geschätzten Vermögen von 65
Millionen Dollar, war einer der Sprecher der Demonstrationen. Rechtsextreme
Bataillone, die Insignien aus der Nazizeit trugen, marschierten bei den
Demonstrationen und dienten als die Stoßtruppen der Maidan-Bewegung.
Westliche Diplomaten traten öffentlich auf den Maidan-Kundgebungen auf und
befanden sich in ständigem Kontakt mit den Oppositionsführern, um sie bei ihren
Zielen zu unterstützen. Bezeichnend war eine geleakte Aufzeichnung eines
Telefongesprächs zwischen der stellvertretenden amerikanischen Außenministerin
Victoria Nuland und dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt. Das Gespräch
belegt Washingtons Rolle bei der Aufstellung der Kiewer Regierung, die auf den
Putsch folgte. Im November 2013 prahlte Nuland damit, dass die Vereinigten
Staaten seit 1991 fünf Milliarden Dollar in die Ukraine gesteckt hätten, um
„ziviles Engagement“ sowie „demokratische Kompetenzen und Bestrebungen“ zu
befördern.
Janukowitschs Sturz 2014 war der Höhepunkt lang andauernder Bestrebungen
seitens der Vereinigten Staaten, ein fügsames Regime mit engen Bindungen zu
Washington an der Grenze zu Russland aufzubauen. Das letztendliche Ziel dieser
Operation besteht darin, Russland auf neokolonialen Status herabzudrücken. Dies
kann auch durch die Zerstückelung des Landes geschehen, was die Vereinigten
Staaten in die Lage versetzen würde, ihre Hegemonie über den eurasischen
Kontinent zu festigen.
Während der „Orangenen Revolution” im Jahr 2004 konnte der von den USA
unterstützte Viktor Juschtschenko in einer hart umkämpften Wahl, begleitet von
Straßendemonstrationen, Janukowitsch die Macht entreißen. Doch Juschtschenko
und Julia Timoschenko, die bald darauf seine Verbündete wurde, verloren schnell
die Unterstützung der Bevölkerung. Ihr Bündnis währte nicht lange. Ihre
korrupte Politik des freien Marktes drückte den Lebensstandard der Arbeiter,
während sich die wohlhabenderen Schichten und die Oligarchen des Landes
bereicherten. Im Jahr 2010 gewann Janukowitsch, der seine engen Bindungen zu
Moskau aufrechterhielt, die Präsidentschaftswahlen.
Die Weigerung von Janukowitsch, seine Regierung im Jahr 2014 an den
Vereinigten Staaten und der EU auszurichten, war für den westlichen
Imperialismus inakzeptabel. Deutschland, das Anfang 2014 erklärt hatte, seine
pazifistische Ausrichtung aufzugeben und offen auf den Weg von Militarismus und
Realpolitik zurückzukehren, war gemeinsam mit den USA entschlossen,
Janukowitsch aus seinem Amt zu entfernen. Der gestürzte Präsident fürchtete ein
ähnliches Schicksal wie das von Muammar Gaddafi, der 2011 in einem von den USA
unterstützen Putsch brutal ermordet wurde, und flüchtete außer Landes. Die
rechten Kräfte, die hinter dem Maidan standen, wurden als neue ukrainische
Regierung eingesetzt.
Arseni Jazenjuk, eine Führungsfigur von Timoschenkos nationalistischer
Vaterlandspartei, leitete die neue Regierung. Wenig später rief Timoschenko zu
einer Politik der „verbrannten Erde“ gegen Russen auf, sowie dazu, „diese
Arschlöcher umzubringen“, die 17 Prozent der ukrainischen Bevölkerung ausmachen
und deren Sprache von vielen Bewohnern des Landes gesprochen wird, darunter
ethnische Ukrainer.
Jazenjuk überließ der Swoboda-Partei sechs Kabinettsposten. Dabei handelt
es sich um eine neofaschistische Organisation, die 1991 als Sozial-Nationale
Partei der Ukraine gegründet worden war. Von den Vereinigten Staaten und
Deutschland als führende Kraft in der „demokratischen“ Maidan-Bewegung
bejubelt, war Swoboda noch im Jahr 2012 vom Europaparlament für ihre
„rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Ansichten“ verurteilt
worden. Damals rief die EU das ukrainische Parlament dazu auf, mit Swoboda „nicht
in Verbindung zu treten, sie weder zu unterstützen noch in irgendeiner Form mit
ihr zu koalieren.“ Der Parteivorsitzende Oleg Tjahnybok erklärte wiederholt,
dass er die „russisch-jüdische Mafia, die die Ukraine kontrolliert“,
zerschlagen wolle.
Was ist zwei Jahre später aus der Ukraine geworden? Und was waren die
weitergehenden Konsequenzen des Februar-Putsches von 2014 für Europa und
weltweit?
Die Maidan-Operation in der Ukraine hat die Welt an den Rand eines Krieges
gebracht. Unmittelbar nach dem Ereignis brach der Widerstand im überwiegend
russischsprachigen Südosten des Landes aus, wo die Bevölkerung eine Abspaltung
von der Ukraine forderte. Kiew antwortete mit roher Gewalt. Die überwiegend
russische Bevölkerung der Krim votierte daraufhin für eine Wiedervereinigung
mit Russland, wonach die Halbinsel von Moskau in die Russische Föderation
eingegliedert wurde.
Das löste eine hysterische Kampagne gegen den Kreml aus, in der Moskau
beschuldigt wurde, eine militärische Aggression gegen die Krim und die Ostukraine
begonnen zu haben.
Russland wurde angeklagt, Osteuropa erobern und auf dem Territorium der
ehemaligen UdSSR ein Großreich errichten zu wollen. Die New York Times
veröffentlichte angebliche fotografische Beweise – die sie von der
amerikanischen Regierung erhalten hatte – von maskierten russischen Soldaten,
die in den Südosten der Ukraine eindringen. Die Zeitung war gezwungen, die
Story wieder zurückzuziehen, da sie auf gefälschten Fotos basierte. Als Flug
MH17 der Malaysian Airlines über der Ukraine abgeschossen wurde, machten die
Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten den Kreml und die von Russland
unterstützten Separatisten im Südosten der Ukraine dafür verantwortlich. Es
wurde nie ein Beweis vorgelegt, der dies untermauern könnte, und bis heute ist
ungeklärt, wer die Schuld für den Flugzeugabschuss trägt.
Dies wurde alles genutzt, um eine massive militärische Aufrüstung durch die
USA und die Nato entlang der russischen Grenzen zu rechtfertigen.
Nato-Einheiten sind in den baltischen Staaten stationiert, im Schwarzen Meer
werden militärische Übungen abgehalten, Polen wird auf einen Krieg mit seinem
östlichen Nachbarn vorbereitet. Mittlerweile wird fast routinemäßig vom
möglichen Atomwaffeneinsatz als Abschreckung einer angeblichen Aggression Russlands
gesprochen.
Im September 2014 verkündete US-Präsident Obama während eines Besuchs in
Estland Washingtons „standhafte“, „ewige“ und „unverbrüchliche“ Zusage, die
baltischen Staaten zu verteidigen. Diese werden von rechten nationalistischen
Regimes regiert, die Moskau feindselig gegenüberstehen. Die US-Regierung
verpflichtete sich, unter vollständiger Missachtung der Meinung der
amerikanischen Bevölkerung, einen Atomkrieg mit Russland zu führen, falls es zu
einem Konflikt zwischen Estland, Lettland oder Litauen mit Moskau kommen
sollte.
Um die Putin-Regierung zu destabilisieren und einen Zersetzungsprozess in
Russland hervorzurufen, haben die USA und Europa Wirtschaftssanktionen gegen
Moskau verhängt. Begleitet werden diese von Währungsspekulationen und einem
Ölpreisverfall, die das Land in eine Rezession treiben und zu einem
dramatischen Absturz des Lebensstandards führen.
In der Ukraine selbst ging im Jahr 2015 die Wirtschaftsleistung um zehn
Prozent zurück. Um den Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu
genügen, hat Kiew die Ausgaben für Sozialprogramme drastisch reduziert, Löhne
eingefroren, öffentliche Angestellte entlassen und die Konsumentenpreise bei
Versorgungsunternehmen massiv erhöht. Im letzten Jahr trieb die Regierung die
Kosten für Erdgas um 285 und für Wasser um über 70 Prozent in die Höhe. Renten
wurden um 15 Prozent gekürzt, was real 40 Prozent entspricht. 15 Prozent der
Lehrer wurden entlassen. Doch immer noch weigert sich der IWF, die letzte
Hilfs-Tranche von 35 Milliarden Dollar auszuzahlen und behauptet, dass die
Regierung die Wirtschaft immer noch nicht schnell genug „reformiere“.
Mitte letzten Jahres, als ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung
unterhalb der Armutsgrenze lebte, lag das durchschnittliche Monatseinkommen bei
etwa 1.176 Hrywnja (50 Dollar). Nach Angaben der Weltbank hat sich die Armut
somit seit dem Jahr 2013 vervierfacht. Im letzten Jahr betrug die
Jugendarbeitslosigkeit 23 Prozent – das ist der höchste Wert seit 1991, als die
Ukraine nach der Auflösung der Sowjetunion ein eigenständiger Staat wurde.
Anderthalb Millionen Menschen flohen aus dem ukrainischen Donezbecken, wo
die Regierung und rechtsextreme paramilitärische Einheiten versuchten, eine
prorussische Separatistenbewegung zu unterdrücken. Die Flüchtlingswelle hat
eine Hungerkrise ausgelöst. Das Welternährungsprogramm benötigt dringend 35
Millionen Dollar, um Lebensmittel für 260.000 Vertriebene bereitstellen zu
können. Die Kämpfe in der Ostukraine kosten geschätzte 5 Millionen Dollar pro
Tag und forderten bislang fast 9.000 Tote.
Die ukrainische Armee, die sich unter dem Gewicht weitverbreiteter
Desertionen und Massenopposition gegen Einberufungen aufzulösen begann, wird
mit Hilfe amerikanischer Militärberater und Geldspritzen aus Washington wieder
aufgepäppelt. Das ukrainische Militär arbeitet mit marodierenden Banden von
Neofaschisten zusammen, die die Regierung oftmals nicht unter Kontrolle halten
kann. Sie selbst ermittelt gegen diese Milizen wegen Entführung, Mord,
bewaffneten Überfällen und Raub.
Die Regierung mit dem „Schokoladenkönig” Petro Poroschenko an der Spitze,
setzt sich aus einer bunten Mischung von glühenden Rechten, Ultranationalisten,
Antikommunisten und offenen Nazi-Sympathisanten zusammen. Dmitro Jarosch, ein
Mitglied von Swoboda und Führer des Rechten Sektors, dient der Regierung als
Militärberater. Regelmäßig bricht rechtsextreme Gewalt im Lande aus. Als sich
die Maidan-Proteste vergangenen Monat zum zweiten Mal jährten, setzten Banden
ukrainischer Nationalisten russische Banken in Kiew, Lwiw und Mariupol in Brand
und plünderten sie. Der amerikanische Informationsdienst und Think-Tank
Stratfor schreibt von einer „starken Vermehrung rechter Bewegungen“ im Land.
Die Regierung, die auf Janukowitsch folgte, wird von der breiten Bevölkerung
verachtet. Poroschenkos Zustimmungswerte sind seit seinem Machtantritt im Mai
2014 um 30 Prozentpunkte gesunken und stehen jetzt mit 17 Prozent weit unter
denen seines Vorgängers. Die einzige Person, die vielleicht noch mehr Hass auf
sich gezogen hat, ist Premierminister Jazenjuk, der vom IWF gedungene Mann fürs
Grobe. Er verfügt in der Bevölkerung über eine Zustimmung von acht Prozent und
hat letzten Monat nur knapp ein Misstrauensvotum überstanden.
Die Behauptung, der Maidan würde zu einer demokratischen Renaissance der
Ukraine führen, liegt in Trümmern. Dies gilt ebenso für das Argument,
Janukowitschs gewaltsame Amtsenthebung sei eine defensive Reaktion auf ein
Blutbad der Regierung gegen friedliche Demonstranten gewesen. Es häufen sich
zunehmend Beweise, dass das „Scharfschützenmassaker“ vom 20. Februar 2014, bei
dem Demonstranten angeblich von Janukowitschs Sicherheitsdienst (Berkut)
grundlos getötet wurden, in den Worten des Wissenschaftlers Iwan Katschanowski,
in Wirklichkeit „eine Operation unter falscher Flagge war, die rational geplant
und mit dem Ziel ausgeführt wurde, die Regierung zu stürzen und die Macht zu
ergreifen.“ Jüngst gab Iwan Bubentschik, ein Maidan-Schütze, zu, er habe zwei
Berkut-Kommandanten getötet, bevor die Sicherheitskräfte einen einzigen Schuss
in die Menge abgaben.
Derrussische Linke Kagarlizki
argumentierte im Februar 2014 zunächst, dass die Vorherrschaft rechtsextremer
Kräfte auf dem Maidan „nicht bedeutet, dass man nicht an der Bewegung
teilnehmen und in ihr und an ihrem Rande aktiv werden sollte. Man solle
natürlich die temporäre Schwäche der Staatskontrolle sowie das tatsächlich
vorhandene Machtvakuum nutzen, um persönliche autonome Räume zu schaffen, über
die man die neue ‘Post-Maidan’-Stufe des politischen Lebens betreten kann.“
Später fing er an, die Kiewer Regierung zu verurteilen und rief dazu auf, ein
Noworossija (Neurussland) im ukrainischen Donezbecken zu errichten.
Kagarlizki ist in Russland seit vielen Jahren im politischen Geschäft.
Während der 1980er Jahre trat er für Michail Gorbatschows marktfreundliche Perestroika
ein und unterstützte die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR. Bis vor
wenigen Jahren stand er in enger Verbindung mit der RSM. Er unterhält
freundschaftliche Beziehungen zur Kommunistischen Partei und zu den russischen
Gewerkschaftsbürokraten.
Im Juli 2014 tauchte Kagarlizki in der Krim-Stadt Jalta auf, um sich mit
einer Reihe von pseudo-linken Kräften zusammenzutun und ein „Manifest“ zu
veröffentlichen. Dieses betraf den Maidan und die prorussische
Separatistenbewegung, die im Südosten der Ukraine auf den Plan getreten war. Es
argumentierte, die Separatisten in dieser Region führten eine
„Volksbefreiungsrevolution“ an, die nach links gepuscht und im Ergebnis zur
Bildung eines Staates führen könnte, der „die Interessen der Bevölkerung und
ihre allseitige Entwicklung“ garantiere, ausbeuterisches Privateigentum sowie
„wucherisches Finanzkapital“ verböte und Renten nebst Sozialleistungen zur
Verfügung stelle.
Nichts Derartiges trat ein, und konnte es auch nicht. Die Kräfte, die in
den abgespaltenen Regionen des ukrainischen Donezbecken an die Macht kamen,
waren keine Repräsentanten des linken Flügels oder der wirklichen
Massenopposition gegen den Putsch in Kiew, die in dieser Region bestanden hatte.
Sie waren ein Mischmasch aus rechten russischen Nationalisten sowie
pro-kapitalistischen und sogar monarchischen Elementen, die das politische
Vakuum füllten, welches durch den Zusammenbruch der Unterstützung für die
Kiewer Regierung und den Massenexodus einer Bevölkerung entstanden war, die vor
dem Krieg floh. Zwar versuchten sie ursprünglich, linke Stimmungen und
Nostalgie für die sowjetische Vergangenheit auszunutzen, um sich eine
Unterstützungsbasis in der Bevölkerung zu sichern, doch dies war lediglich eine
Maske für ihr reaktionäres, nationalistisches Programm.
Die Führer der „Volksrepublik Donezk“, die bei offiziellen Anlässen sogar
die Internationale ertönen lassen, erklären beispielsweise das
russisch-orthodoxe Christentum zur Staatsreligion. Am 8. Juli 2014 ließ
Strelkow, der damalige Militärkommandeur der Volksrepublik, seinen Emotionen
freien Lauf: „Wir kämpfen hier insbesondere für Russland und für die Rechte des
Volkes der Republik Donezk. Wir streiten hier für die UdSSR und für die Rechte
des Volkes der Republik Donezk als Bestandteil der UdSSR, für die UdSSR als
unser universelles, göttliches Vaterland.“ Diese Bemerkungen, die eine
Zurückweisung der revolutionären und internationalistischen Ursprünge der
Sowjetunion darstellen, sind eine ungenießbare Ausgeburt von Stalinismus und
russischem Chauvinismus.
Von Anfang an ließen die Führer dieser „Volksrepubliken“ ausdrücklich
wissen, dass sie „in keinerlei Beziehung zu Kommunisten stehen, die
beschlagnahmen und verstaatlichen wollen“. Ferner forderten sie „Respekt“ für
„das Recht auf Eigentum.“ Eduard Limonow, Anführer der rechtsextremen
russischen Nationalbolschewistischen Partei, pries das „Noworossija“-Projekt
der Pseudo-Linken als „rot-braune“ Allianz.
Kagarlizki und seine Anhänger lamentieren jetzt über den Misserfolg von
Noworossija und vertreten die Ansicht, dass dieser eine Folge des Verrats der
russischen Nation durch den Kreml sei, da jener zur Verteidigung seiner
neoliberalen Agenda und bürokratischen Interessen im Südosten der Ukraine intervenierte.
Ein Leitartikel, der kürzlich auf Kagarlizkis Webseite Rabkor erschien,
führt aus: „Die Hoffnung, dass es möglich wäre, in Noworossija einen neuen,
demokratischeren und fortschrittlicheren Staat als gegenwärtig in Russland
(ganz zu schweigen von der Ukraine) zu schaffen, erfüllte sich nicht. Und das
nicht, weil diese Hoffnungen grundlos wären. Ganz im Gegenteil, sie waren
vollkommen real. Die Kreml-Regierung hatte das, ebenso wie wir und unsere
Mitstreiter, verstanden, und leider … arbeitete (der Kreml) daran, alles in der
Noworossija-Bewegung, das lebendig und fortschrittlich war, zu unterdrücken.“
Die Idee, dass ein fortschrittlicher Kleinstaat, der seiner Bevölkerung
Wohlergehen garantiert, aus einer verarmten Region Osteuropas und einem Teil
des deindustrialisierten Südwestrussland, herausgeschnitten werden könne, ist
absurd und reaktionär. Er bliebe vollständig vom Zugang zu internationalen
Märkten abhängig, unabhängig davon, was er an Reichtum produzieren mag,. Er
müsste sich mitten in einem explosiven Konflikt zwischen dem Westen und
Russland behaupten. Dies ist kaum mehr als ein Wiederaufbrühen des
stalinistischen Programms vom „Sozialismus in einem Lande“ – wobei sogar der
Hinweis auf den Sozialismus fehlt.
Die Ukraine bleibt weiter zersplittert
und es ist leider zu erwarten, dass es in naher Zukunft so bleibt.
Unterschiedliche Machtinteressen prallen aufeinander, eine Lösung zum Wohle der
Menschen scheint fast unmöglich zu sein.
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StefanoFereri 11.11.2021 11:16
Du liebe Güte, "um Russland auf neokolonialen Status herabzurdücken", "westlicher Imperialismus" - die AfD wird gejubelt haben angesichts dieses Artikels. Ich hoffe, dass eine derartige Hetze aus dem Querdenker-Milieu heute nicht mehr so formuliert würde. Die USA haben in der Ukraine das gemacht, was sie mit Nazideutschland, Gulagrussland und vielen anderen Regimen gemacht haben: Strategisch gefährliche Verbrecherregime bekämpft. Sie haben sich dabei öfters mal anderer Schurkenstaaten bedient - vor allem beim Kampf gegen Nazideutschland, wo sie Gulagrussland mittels gewaltiger Waffenlieferungen vor dem sicheren Untergang bewahrten. Dies in den Vordergrund zu rücken, anstatt die Urheber der Gewalt anzuprangern - wie dies die National-Sozialisten bis heute gerne tun - ist kaum Zeichen einer menschenrechtlichen Gesinnung, ist vielmehr mittäterschaftliche Propaganda für die Verbrecherregime.