Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 17.10.16 |
von Nathan Warszawski
Einem linken Kulturzentrum in
Sachsen misslingt der Versuch, Willkommenskultur und den Schutz vor
sexistischen Übergriffen zu vereinbaren.
Es folgen
Ausschnitte aus dem offenen Brief des linken Kulturzentrums.
Während im Sommer 2015 am Münchner Hauptbahnhof
Bürger_innen Kuchen und Kuscheltiere an ankommende Geflüchtete verteilten,
besann sich der sächsische Mob der neunziger Jahre und machte verbale und
körperliche Übergriffe auf Migrant_innen und deren Unterkünfte wieder zur
Normalität. Als Konsequenz dieser Entwicklungen beschloss das Plenum, sich der
„Welle der Willkommenskultur“ anzuschließen und den Club aktiv für Geflüchtete
zu öffnen, für deren Teilhabe zu werben und ihnen das kulturelle Angebot für
den Spendenbeitrag von 50 €Cent zur Verfügung zu stellen.
Außerdem fassten integrative Projekte Fuß, wie zum
Beispiel Skateboard- und Fahrradselbsthilfeworkshops oder Deutschkurse. Das
fühlte sich gut an – schließlich wollten wir nicht hinter der sich vor
Hilfsbereitschaft überschlagenden Zivilgesellschaft zurückstehen.
Kurzweilig bestand die große Sorge des Plenums darin,
nicht schnell genug möglichst vielen Geflüchteten das Angebot publik machen zu
können. Daher blendeten wir übergangsweise aus, dass insbesondere der quasi
kostenlose Eintritt zu allen Veranstaltungen auch diverse Fallstricke barg.
Gruppen umherziehender Männer gehören wohl zu den
meistgehassten und gefürchteten Menschengruppen vieler Frauen, Lesben, Schwulen,
Transgender, Marxisten und Juden. Egal ob die Betreffenden Syrer, Sachsen, Afrikaner,
Wessis oder Russen sind, haben sie in erschreckend vielen Fällen eines gemein:
Es kommt zu sexistischen Kommentaren und nicht selten zu Handgreiflichkeiten.
Gesellen sich zu Selbstüberschätzung und mangelhaftem Sozialverhalten Alkohol
und andere Drogen, laute Musik und eine unübersichtliche Situation im Club,
wird besonders für Frauen der ausgelassene Tanzabend schnell zum
Spießrutenlauf. Wer bereits die Erfahrung einer ungewollten Berührung im
Schritt oder eines umzingelnden, penetranten Antanzversuchs gemacht hat,
überlegt sich zweimal, ob ein Samstagabend zu Hause vor dem Fernseher nicht
sinnvoller ist, als sich mit aufdringlichen Blicken, Sprüchen und Gegrapsche
auseinanderzusetzen.
Die autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in den
Herkunftsländern Geflüchteter und die Freizügigkeit der westlichen Feierkultur
bilden eine explosive Mischung. Sexistische Anmachen und körperliche Übergriffe
sind aufgetreten – auch mit der Konsequenz, dass weibliche Gäste auf Besuche
verzichten. Hierbei müssen wir uns ganz klar die Frage stellen, ob wir uns als
Plenum ausreichend solidarisch mit den Betroffenen gezeigt haben.
Aufgefallen ist der Missbrauch des „Refugees-Fuffzigers“
durch junge Männer mit Migrationshintergrund, die in größeren Gruppen
Tanzveranstaltungen am Wochenende besuchen und den geringen Eintritt gern
bezahlen, um dort für Stress zu sorgen.
Unsicherheit des Personals im Umgang mit Migranten
aufgrund von Sprachbarrieren und Angst vor einem ungerechtfertigten Rassismusvorwurf
erschwerten die Lösung von Konflikten bei Veranstaltungen. Entgegen unseres
üblichen Vorgehens musste in mehr als einem Fall die Polizei eingeschaltet
werden, da das Maß an körperlicher Gewalt gegenüber dem Personal nicht mehr zu
handhaben war. Dabei war vonseiten des Plenums immer klar, dass keine doppelten
Standards angelegt werden können. Sexistisches,
homophobes, rassistisches oder antisemitisches Verhalten wird nicht akzeptiert
und kann auch nicht durch Herkunft oder Sozialisation gerechtfertigt werden.
In vorauseilendem Antirassismus wird Einlasspersonal zurechtgewiesen, wenn
Personen mit Migrationshintergrund des Platzes verwiesen werden oder es werden
kulturalistische Erklärungsmuster zur Verharmlosung sexistischer Übergriffe
angebracht („Woher soll er wissen, dass man hier
Frauen nicht im Schritt fassen darf?“).
Uns zur Problemlage so explizit zu äußern, fällt uns
schwer, da wir nicht in die rassistische Kerbe von AfD und CDU/CSU schlagen
wollen. Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend, dass ein
verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir
halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb
der Linken für längst überfällig und wollen dem Rechtspopulismus nicht die
Deutungshoheit in dieser Debatte überlassen. Mehrere Anläufe einer öffentlichen
Auseinandersetzung zur Situation in Kooperation mit anderen Clubs schlugen
fehl, da es den meisten Veranstalter_innen ähnlich schwer fällt sich zu
artikulieren, ohne in den rassistischen Tenor einzustimmen.
Das Plenum sucht seit mehreren Monaten nach Lösungen, die
sowohl den bestmöglichen Schutz für Frauen und LGBTQ als auch die Möglichkeit
der Integration miteinander vereinbaren können. Zum einen führte dies im
Frühjahr 2016 zur Aufstockung des Sicherheitspersonals, wodurch eine
durchschnittliche Preiserhöhung von einem Euro pro Ticket zustande kam. Diese
Maßnahmen haben zu einer leichten Entspannung der Situation beigetragen, die
aber weder das Plenum, noch das Personal oder die Gäste vollends zufrieden
stellt.
Der Hilferuf eines links-alternativen Freiburger Clubs
und die Reaktionen aus Presse und linken Kreisen zeigten deutlich, wie
schwierig es ist, offensiv solidarisch mit Geflüchteten zu sein, rechten
Stimmungen entgegenzuwirken und gleichzeitig anzuerkennen, dass mit dem Tragen
eines „Refugees Welcome“-Beutels nicht automatisch alle Probleme und Konflikte
gelöst sind.
Fakt ist und bleibt, dass sexistische Übergriffe,
mackerhaftes Auftreten, antisemitisches, rassistisches und anderweitig diskriminierendes
Verhalten nicht geduldet werden und jede Person, die sich nicht an unsere
Regeln hält, des Clubs verwiesen wird – ungeachtet seiner/ihrer Herkunft.
Wenn Theorie und Praxis
nicht übereinstimmen, umso schlimmer für die Praxis.
(Hegel, großer deutscher Philosoph)
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