Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 24.10.16 |
von Jörg Bernhard Bilke
Im Sommer 1956, zwei Jahrzehnte nach Beginn des Spanischen
Bürgerkriegs am 17. Juli 1936, fand in Ostberlin, der Hauptstadt des
SED-Staates, eine merkwürdige Ehrung statt: Neben Hunderten von überlebenden
Spanienkämpfern, die wegen ihres tapferen Einsatzes 1936/39 auf
republikanischer Seite ausgezeichnet werden sollten, wurden auch Kommunisten
geehrt, die nachweislich keinen einzigen Tag ihres Lebens an der
Bürgerkriegsfront in Spanien verbracht hatten! Darunter waren beispielsweise
der „Spanienkämpfer“ Walter Ulbricht (1893-1973), der im französischen Exil gelebt
hatte und 1938 nach Moskau emigriert war, der „Spanienkämpfer“ Stephan Hermlin
(1915-1997), der von Palästina, wohin er aus Deutschland geflohen war, nach
Spanien aufgebrochen, aber nie dort angekommen war, sondern ängstlich in Paris
den Ausgang des Bürgerkriegs abgewartet hatte, und der „Spanienkämpfer“ Erich
Mielke (1907-2000), später DDR-Minister für Staatssicherheit 1957/89, der immerhin
als „Hauptmann“ bei den „Internationalen Brigaden“ registriert gewesen war,
aber nicht an der Front gekämpft, sondern hinter der Front Anarchisten und
Trotzkisten liquidiert hatte! Das alles kann man nachlesen im zweiten Band des
„Deutschen Tagebuchs“ (1961) des Ostberliner Literaturprofessors Alfred
Kantorowicz (1899-1979), der 1936/38 in Spanien gekämpft, aber zwei Jahrzehnte
später, im Sommer 1957, mit dem Kommunismus gebrochen hatte und nach Westberlin
geflohen war.
Der Spanische Bürgerkrieg, der 1939 mit einer verheerenden Niederlage
für die republikanische Seite beendet worden war, war kein Forschungsobjekt für
die DDR-Geschichtsschreibung, obwohl 5000 Deutsche, vornehmlich Kommunisten und
Sozialisten, in den „Internationalen Brigaden“ gekämpft hatten. Hunderte von
ihnen, die danach ins Exil gegangen waren, lebten, wie Walter Janka (1914-1994),
Leiter des Aufbau-Verlags 1953/56, nach 1949 im SED-Staat und bezogen hohe
Versorgungsrenten und andere Vergünstigungen. Wer in Spanien gekämpft oder,
nach DDR-Lesart, sein Leben im „Klassenkampf“ gegen den „Faschismus“ eingesetzt
hatte, war zeitlebens ein angesehener Mann, der noch im Rentenalter als
Zeitzeuge gefragt war.
Aber dass der Beitrag deutscher Kommunisten zum Spanischen
Bürgerkrieg, anders als die gescheiterten Revolutionen von 1848/49 und 1918/19,
kaum wissenschaftliche Aufarbeitung fand, hat seine Gründe: Niederlagen feierte
man nicht! Und von den unbestechlichen Zeugen dieser Niederlage, die einer
staatlich verordneten Heroisierung hätten widersprechen können, lebten 1956
noch 350 im SED-Staat.
Deshalb dürfte es kaum verwundern, dass das Kriegsgeschehen
in Spanien 1936/39 in DDR-Geschichtsbüchern weitgehend ausgeblendet wurde. Im
kümmerlich geratenen „Abriss der Spanienliteratur“ (1960), der der
literarischen Aufarbeitung des Bürgerkriegs gewidmet war, wurden vornehmlich
zwei Autoren behandelt, die heute längst vergessen sind: Bodo Uhse (1904-1963)
und Eduard Claudius (1911-1976)! Ihre beiden Spanien-Romane „Leutnant Bertram“
(1944) und „Grüne Oliven und nackte Berge“ (1945) wurden kaum gelesen und
waren, anders als Anna Seghers` Widerstandsbuch „Das siebte Kreuz“ (1942),
unbrauchbar für die Literaturagitation im Deutschunterricht an DDR-Schulen.
Aber auch die Autoren, die als Kriegsteilnehmer authentische
Berichte geliefert hatten wie Ludwig Renn (1889-1979), Alfred Kantorowicz
(1899-1979) und Willi Bredel (1901-1964), waren politischen Pressionen
ausgesetzt, weshalb ihre Werke nur gekürzt und verstümmelt erscheinen konnten.
Am glimpflichsten kam noch Willi Bredel davon, der der Hamburger
„Arbeiterklasse“ entstammte und 1933 im Hamburger Konzentrationslager
Fuhlsbüttel gesessen hatte. Als braver Parteisoldat, der in seinem Roman
„Begegnung am Ebro“ (1939) aus „parteilicher Sicht“ über die Kämpfe berichtet
und sich jeglicher Kritik an der Kriegsführung der „Internationalen Brigaden“
enthalten hatte, blieb er mit seinem Spanien-Buch, das auch 1977 in die
Gesammelten Werke aufgenommen wurde, unbehelligt, zumal er als Politkommissar
des Thälmann-Bataillons auch das „schädliche Wirken“ der Anarchisten und
Trotzkisten schilderte. Anders erging es Ludwig Renn, dessen Buch „Der
spanische Krieg“ (1955) weitaus kritischer ausgefallen war und deshalb auch nur
in gekürzter Fassung erscheinen konnte. Die vollständige Ausgabe wurde erst
2006 in Berlin veröffentlicht.
Der Berliner Jurist, Journalist und Redakteur Alfred
Kantorowicz war 1931 der KPD beigetreten und 1933 nach Paris emigriert, wo er
schon 1928/29 als Kulturkorrespondent der „Vossischen Zeitung“ gelebt hatte.
Drei Jahre später zog er als Freiwilliger in den Spanischen Bürgerkrieg und
kehrte 1938 nach Frankreich zurück, nach dem Kriegsausbruch im September 1939
konnte er im Juni 1940 aus Marseille im unbesetzten Frankreich in die
Vereinigten Staaten fliehen. Anderen kommunistischen Emigranten wie Anna
Seghers beispielsweise wurde dort das Asyl verweigert, weshalb sie nach Mexiko
ausweichen mussten. Sein „Spanisches Tagebuch“, das er im Exil in Südfrankreich
nach Aufzeichnungen während des Bürgerkriegs geschrieben hatte, erschien 1948
im Ostberliner Aufbau-Verlag, damals schon in gekürzter und verstümmelter
Fassung. Warum die SED-Zensoren schon mit dieser ersten Fassung nicht zufrieden
waren, das teilte uns der Verfasser im Vorwort zur zweiten Fassung mit, die in
erweitertem Umfang 1966, zum 30. Jahrestag des Bürgerkriegs, in Köln erschien.
In einem Beschluss des Politbüros, dem höchsten Machtzentrum des SED-Staats,
waren 1951 alle Kritikpunkte genannt, die dazu führten, dass das Buch nicht nur
nicht in die 1945 gegründete „Bibliothek Fortschrittlicher Deutscher Schriftsteller“
aufgenommen wurde, sondern auch die zweite Auflage, die mitten in der
Auslieferung war, eingestellt wurde: „Es ist voller Schwächen und nicht das
Spanienbuch, was wir brauchen. Das Buch…ist aber zweifellos vom Gesichtswinkel
der Intellektuellen aus geschrieben. Es lässt den Parteistandpunkt vermissen.
Sowohl die Rolle der spanischen Kommunistischen Partei als auch der
entscheidende Anteil der deutschen Kommunisten am spanischen Befreiungskampf
bleiben nahezu unberücksichtigt.“
Zu dieser für den Autor unerträglichen „Mängelliste“, die
auf blanker Unkenntnis des Buches beruhte, reagierte Alfred Kantorowicz mit
berechtigtem Zorn. Der Brief mit den Vorwürfen einer „politisch
verantwortlichen Stelle“, der ihm am 15. Dezember 1951 von Willi Bredel, dem
Herausgeber der Bibliothek, zugestellt worden war, wurde erst acht Wochen später,
am 12. Februar 1952, von ihm beantwortet.
Wir erfahren aber auch in diesem Vorwort, wie das Manuskript
entstanden und über den Krieg gerettet wurde. So hätte der Verfasser „aus der
amorphen Masse der Notizen“ ein Manuskript von „rund 800 Schreibmaschinenseiten“
gefertigt, von denen er „einen Durchschlag vor der zweiten Internierung im
Hause meines Freundes Lion Feuchtwanger“ deponiert hätte. Sie gelangten im
Gepäck des Schriftstellers auf der Flucht von Marseille 1941 ins kalifornische
Exil, von wo sie dem Autor, der inzwischen in New York lebte, zugeschickt
wurden. Eine zweite Kopie war von französischen Freunden in einer Ölhaut
vergraben worden und konnten so dem Zugriff der GESTAPO entzogen werden, auch
diese Kopie wurde dem Autor nach Kriegsende wieder zugestellt.
Zu dieser oben erwähnten „Mängelliste“ nahm Alfred
Kantorowicz ausführlich Stellung und widerlegte die „Vorwürfe“, ohne freilich
von der „politisch verantwortlichen Stelle“, von der sie erhoben worden waren,
jemals einer Antwort gewürdigt zu werden.
Wenn man heute beide Ausgaben, die von 1948 und die von
1966, miteinander vergleicht, dann erkennt man, warum das die Literatur
überwachende Politbüro auf einer „rudimentären Veröffentlichung“ (Alfred
Kantorowicz) bestanden hat. Bei einer vollständigen Veröffentlichung des Textes
wäre aller Voraussicht nach eine kaum mehr einzudämmende Diskussion über das,
was in Spanien wirklich geschehen ist, ausgebrochen. So berichtet er in einem
Pariser Tagebucheintrag vom 1. Mai 1938, von einer Sitzung des „Bundes der
Spanienkämpfer“: „Da waren etwa zwanzig deutsche Invaliden versammelt,
Verwundete, Armlose, Beinlose, Schüttler, alle bedrückt, hungrig, fertig mit
den Nerven. Da sitzen diese armen Jungen mit ihren zerschossenen Knochen und
müssen sich (von einem selbstzufriedenen Parteibeamten) das erste einer Reihe
von Referaten über den Trotzkismus anhören.“
Und noch ein anders Thema schnitt Alfred Kantorowicz in der
Vollfassung seines Tagebuchs an, wovon er während des Bürgerkriegs nichts
gewusst, allenfalls geahnt hatte: Die Verfolgung und Ermordung von Anarchisten
und Trotzkisten hinter der Front! Über solche Greueltaten konnte er später in
den Büchern „Mein Katalonien“ (1938) des Trotzkisten George Orwell (1903-1950)
und „Das große Beispiel“ (1940) des Kommunisten Gustav Regler (1898-1963)
nachlesen. Demnach gab es ein „schwimmendes Konzentrationslager“ auf einem
Schiff im Hafen von Barcelona, auf dem Folterungen und Erschießungen
vorgenommen wurden, und in Albacete, dem Zentrum des Verwaltungsapparates der
„Internationalen Brigaden“, einen Folterkeller, der auf Befehl Walter Ulbrichts
eingerichtet worden war. Beide Autoren sind durch das Erlebnis der Spanischen
Bürgerkriegs, über den noch keineswegs das letzte Wort gesprochen ist, zu
Abtrünnigen des Weltkommunismus geworden.
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