Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 24.10.16 |
Unter der Führung des Friedensnobelpreisträgers gab es so viele Drohnenangriffe wie nie zuvor in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Von US-Präsident Obama als moralisch und militärisch beste Option gepriesen, ist deren Einsatz umstritten – nicht zuletzt, weil der Drohnenkrieg weitgehend im Verborgenen stattfindet. Ein Kommentar.
von Viktoria Lindl
„Was dieses Antiterrorwerkzeug so unverzichtbar macht, ist seine
chirurgische Präzision. Wir können den verkrebsten Tumor, der sich Al-Qaida-Terrorismus
nennt, mit fast laserscharfem Blick entfernen und dabei doch den Schaden am
umliegenden Gewebe möglichst gering halten.“ (CIA-Chef John O. Brennan in
seiner Rede am Woodrow Wilson International Center for Scholars, Washington, am
30. April 2012).
15 Jahre nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 befinden sich die USA
noch immer im Krieg gegen den Terror, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Im Jahr
2009 keimte kurz Hoffnung auf: Barack Obama wurde US-Präsident und bekam kurz
darauf sogar den Friedensnobelpreis. Doch schon seine Rede zur Preisverleihung
machte klar: Auch dieser Präsident würde weiterhin bedeutende militärische
Mittel einsetzen, um die „Achse des Bösen“, sprich den Terror, durch
Schurkenstaaten und Al Quaida zu bekämpfen. Anstatt die Zahl der
Militärangriffe in Nahost zu reduzieren, gab er ihnen eine andere Gestalt und
griff dafür auf ein Kriegsmittel seines Amtsvorgängers George W. Bush zurück:
den Krieg im Verborgenen mit Drohnen.
Die US-Regierung setzte verstärkt unbemannte Drohnen ein, um potentielle
Al-Quaida-Mitglieder zu töten und ihre Truppen am Boden vor riskanten Gefechten
zu schützen. Schnell wurden Stimmen laut, die USA wollten nur das berüchtigte
Gefangenenlager Guantanamo nicht weiter mit Terroristen zu füllen, um es
baldmöglichst zu schließen. Doch CIA-Chef Brennan versprach in seiner Rede
2012, Drohnenschläge nur dann einzusetzen, wenn keine Möglichkeit zur
Gefangennahme bestünde oder das Gelände zu unwegsam für Truppen sei. Die USA
können durchaus Erfolge bei der Jagd nach Terroristen verzeichnen, wie etwa bei
ihrem spektakulärsten Erfolg, als am 01. Mai 2011 Osama Bin Laden mit einer
Drohne getötet wurde.
Doch
diese öffentlichkeitswirksamen Erfolge sind nur ein Teil des Drohnenkrieges,
der vor allem im Verborgenen geschieht. Obama kann sein Versprechen nicht
halten, dass die Amerikaner dann töten, wenn Gewissheit besteht, dass keine
Zivilisten involviert sind.
Das
falsche Versprechen von Waffen der Menschlichkeit
2013
dokumentierte ein Bericht von Amnesty International, wie es um sogenannte
Kollateralschäden, sprich zivile Opfer, in der Realität steht. Die Organisation
untersuchte US-Drohnenschläge in Pakistan zwischen 2012 und 2013 und stufte sie
als Bruch des Völkerrechts ein. Amnesty prangert zudem einige Fälle als
Kriegsverbrechen an, wie etwa im Juli 2012, wo 18 Männer während ihres
Abendessens getötet wurden. Als weiteres Kriegsverbrechen wurde angeführt, wie
im Oktober 2012 eine Großmutter bei der Feldarbeit vor ihren Enkeln starb,
welche wiederum bei einem zweiten Angriff schwer verletzt wurden.
Hier
wird die perfide Rhetorik der US-Regierung offenbar: Um Tötungen nachträglich
zu rechtfertigen, werden zivile Opfer in vielen Fällen als militante Kämpfer
bezeichnet. So handelte es sich bei den Kindern nach Angaben von Amnesty nicht
etwa um Terroristen, sondern um ungefährliche Dorfbewohner. Darüber hinaus ist
die zeitweise eingesetzte Taktik der Doppelschläge moralisch fraglich: Kurz
nach einem Drohnenangriff erfolgt ein zweiter Schlag, um herbeieilende Helfer
zu treffen. Wie ein trauriges Lügenmärchen wirkt da Brennans Bezeichnung von
Drohnen als Waffen der Menschlichkeit, die gefährliche Terroristen präzise
töten. In der Realität nimmt die US-Regierung für ihre Jagd nach Al-Quaida
zivile Opfer in Kauf.
Der
illegitime Drohnenkrieg
Ein
Staat, der in stillem Einverständnis mit den Regierungen anderer Länder auf
Basis von Geheimdienstinformationen Tötungslisten erstellt, um damit
potentielle Terroristen zu töten, handelt klar gegen demokratische und
rechtsstaatliche Prinzipien. Die USA verstoßen damit gegen internationales
Recht, das jedem Angeklagten das Recht auf einen Prozess und die Verurteilung
anhand öffentlich zugänglicher Beweisführung gewährt. Diesen Rechtsbruch kann
niemand anklagen, da sich die USA weigern, dem internationalen Strafgerichtshof
in Den Haag beizutreten, der Kriegsverbrechen verurteilt. Inwieweit der
intransparente Krieg mit Drohnen, wie von Obama gepriesen, militärisch und
menschlich die beste Option ist, bleibt daher fraglich.
In
den meisten Fällen ist es die CIA, die Drohnenschläge ausführt und damit jede
juristische Verfolgung beinahe unmöglich macht. Obama setzt sie zudem ein, da
sie über das nötige Wissen verfügen und die Regierungen in Pakistan, Somalia,
Jemen und Libyen Geheimhaltung über ihre Kooperation mit den USA wollen. Alles
was im Aufgabengebiet der CIA liegt, hat weitaus geringere
Transparenzvorschriften als herkömmliche Kriegseinsätze der Armee und kann
nicht wie üblich durch Militärausschüsse oder den Kongress kontrolliert werden.
Erst nachdem die Schläge durchgeführt werden, erfolgt eine Meldung an das Weiße
Haus – wenn die potentiellen Terroristen oder eben auch Zivilisten bereits tot
sind. Der Friedensnobelpreisträger Obama umging mit seinem Drohnenkrieg
rechtliche Kontrollmechanismen und ließ die CIA zu einer paramilitärischen
Institution anwachsen. Wofür braucht es eine derartige Intransparenz für die
angeblich moralisch und militärisch beste Option?
Die
Zahlen bringen eine andere Wahrheit ans Tageslicht
Für
Obamas Amtszeit lässt sich durch vom DNI (Direktor der nationalen
Nachrichtendienste der USA) veröffentlichte Zahlen feststellen: Zwischen 2009
und 2015 wurden zwischen 2.372 und 2.581 Terroristen und 64 bis 116 Zivilisten
getötet. Diese Zahlen sind niedriger als die von Nichtregierungsorganisationen,
wie etwa New America, welche die zivilen Opfer auf 200 bis 900 schätzen. Die
Erklärung der Regierung lautete, der Geheimdienst könne aufgrund von
Informationen weitaus mehr Opfer als Terroristen einstufen. Obama wehrte sich
2013 gegen Kritik: „Die Terroristen, hinter denen wir her sind, greifen
Zivilisten an. Und die Zahl der Toten ihrer Terrorakte lässt jede Schätzung
ziviler Opfer von Drohnenangriffen zwergenhaft klein erscheinen.“ Damit
lässt er die Frage nach der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit von Drohnen auf
sich beruhen. Nicht nur diese Äußerung des Friedensnobelpreisträgers, sondern
auch seine Kommunikationspolitik rufen Kritiker auf den Plan. Drei Jahre hatte
es gedauert, bis Obama 2012 in einem Chat mit Nutzern auf Google + und Youtube
überhaupt zugab, dass die USA Drohnen in Pakistan einsetzen, um Al-Quaida zu
bekämpfen.
Bei
der Jagd auf Terroristen und der Tötung von Zivilisten ist auch die deutsche
Bundesregierung indirekt beteiligt. Recherchen der Süddeutschen Zeitung aus dem
Jahr 2014 deckten auf, dass die US-Regierung von ihren Stützpunkten in
Stuttgart und Ramstein aus Daten für Einsätze an Drohnenpiloten übermittelt.
Die deutsche Regierung duldet dies stillschweigend und hat zudem kein
Zutrittsrecht zum Stützpunkt in Ramstein. Damit schaffen sich die USA auch auf
deutschem Boden einen autonomen Raum, der nicht kontrolliert werden kann. Der
hierfür zu Grunde liegende Vertrag von 1993 zwischen Deutschland und den USA
könnte einseitig durch die Bundesregierung gekündigt werden. Doch da die
Bundesrepublik den mächtigen Partner nicht vergraulen will, macht sich mit
ihrem Verhalten mit schuldig an völkerrechtswidrigen Morden.
Mit
Terrorbekämpfung zu neuem Terror
Mit
den Morden an Zivilisten schürt Obama in der islamischen Welt Hass auf eine
scheinbare Willkür und macht selbst sein Vorhaben, das Image der Vereinigten
Staaten im Nahen Osten ins Positive zu wandeln, zunichte. Eigentlich soll die
Zivilbevölkerung vor Angriffen gewarnt werden, doch in der Praxis beweist sich
dies als Seltenheit. Auch in Aussicht gestellte Entschädigungszahlungen an die
Hinterbliebenen werden meist nicht geleistet, die Familien ohnehin nicht
annehmen könnten, ohne als gekaufte Verräter der US-Regierung zu gelten.
Mit
einem Krieg, der auf breitem Territorium stattfindet und Ländergrenzen
überschreitet, stützen die USA die Aussage des Jihad, wonach sich die USA im
Kriege gegen den gesamten Islam befinden. Obama brachte Al-Quaida, dem IS und
den Taliban durch seine Politik selbst immer neue Anhänger – die die
Vereinigten Staaten wiederum mit Drohnen jagen. Es entsteht ein Teufelskreis
aus Hass und Vergeltung, ein Krieg der vermutlich ebenso viele neue Terroristen
schafft, wie er tötet. Dies ist kein Krieg, der human, präzise oder gar rechtmäßig
ist.
Der Artikel erschien auf first1life
http://www.firstlife.de/us-politik-barack-obamas-drohnenkrieg/
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