Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 03.11.16 |
von Constantin von Hoensbroech und Ulrike von Hoensbroech
“Herr
gib mir dieses Wasser, damit ich nicht mehr dürste“, heißt es auf einem
Andachtsbild zur „Heiligen Osterkommunion“ im Jahr 1936. „In Jesu und Mariä
Händ befehle ich mein letztes End“, steht auf dem Kuss- und Ablassbild von
1684. „Zur frommen Erinnerung an unsere allgeliebte Monarchin Kaiserin
Elisabeth“ ist der Totenzettel aus dem Jahr 1898 bezeichnet. Beichtzettel,
Heiligenbilder oder Gebetszettel oder andere Bildpredigten für die
unterschiedlichsten Anlässe, dann auch mal ein Fleißkärtchen oder eine Karte
mit der Ermahnung „Wohl meynend rath ich Dir kehr selbst vor Deiner Thür“. Jede
einzelne der vielen Andachtsbilder und Karten in den reichhaltig bestückten
Vitrinen erzählen individuelle Geschichten. Manch handschriftliche Notiz am
Rand oder auf der Rückseite lässt auf eine besondere Beziehung zwischen den
Menschen schließen, die die Karten einander zukommen ließen. Die Karten aus
mehreren Jahrhunderten, die „Kolumba“, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln,
hier versammelt, spiegeln nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen und
religiöses Leben wider, mehr noch: Sie lassen persönliche Bekenntnisse und
Beziehungen erkennen von Menschen, die sich zu ihrem selbst gewählten Glauben
bekennen.
„Nach
christlichem Verständnis erfolgt die Anschauung Gottes letztlich durch das
Individuum“, betont Museumsdirektor Stefan Kraus und fragt: „Was aber prägt das
Individuum, was bestimmt sein Handeln?“ Dieser Rolle des Individuums spürt das
Museum in seiner neuen Jahresausstellung nach, in dem es mit dem Medium der
Kunst über den Begriff des Individuums reflektiert. „Me in a no-time state– Über das Individuum“ heißt die seit Mitte
September geöffnete neue Jahresausstellung des renommierten Hauses und befragt
dabei die Einzigartigkeit der individuellen schöpferischen Leistung ebenso wie
die individuelle Erkenntnis der Selbstverantwortung im Umgang mit anderen
Individuen und dem Göttlichen.
Da
treffen die Besucher gleich im ersten Raum des Museums auf die
„Maschinenmenschen“ von Krimhild Becker. Oder ist es etwa eine drastische
Konfrontation mit dem Ausstellungstitel? Die Sammlung von teilweise martialisch
anmutenden Robotern aus den Jahren 1960 bis 1990 wirft unweigerlich die Frage
nach der Individualität des Menschen einerseits, aber auch der Maschine auf.
Künstliche Intelligenz statt humaner Individualität? Oder verschwimmt in den
Spielzeugen doch beides miteinander? Was ist Außen-, was Innenwelt?
Es
gibt so vieles zu entdecken, so vieles könnte ausführlich, individuell
beschrieben werden – etwa die 56 Kupferstiche der „Lauretanischen Litanei“ von
1781 oder die virtuos gestaltete enge Wohnlandschaft „Cella mit Küchenbaum“ von
Stefan Wewerka oder die Schmuck- und Kleidungsstücke aus unterschiedlichen
Jahrhunderten. Skulpturen, Gemälde, Installationen, Textilien und anderes mehr
aus 1500 Jahren versammelt das Museum in seiner nunmehr zehnten
Jahresausstellung mit Objekten, die sich am eigenen Bestand des Hauses
orientieren. Allein dieser Umstand, die eigene Dauerausstellung regelmäßig neu
gestalten und dabei einige wenige Objekte stets an ihrem festen Platz belassen
zu können, ist ein individuelles Alleinstellungsmerkmal dieses herausragenden
Museums.
Eine
großartige Überraschung bietet der Raum mit Domblick. Dort, wo Stefan Lochners
berühmte „Madonna mit dem Veilchen“ seit Bestehen des Hauses ihren festen Platz
hat und sich durch das Panoramafenster ein grandioser Blick auf den Kölner Dom
eröffnet, steht im Halbkreis eine kleine Figurengruppe. Was mögen die in ihren
Gesichtern ungemein individuell und lebendig ausgeführten spätgotischen
Sandsteinfiguren mit den prächtigen Gewändern gerade beratschlagen? „Die Vier
Gekrönten“, so der Name der jeweils etwa 40 Zentimeter hohen Figuren, sind
vermutlich ein Werk des Dombaumeisters Konrad Kuyn. Um 1445 schuf er - ganz nah
am Porträt und damit sehr ungewöhnlich für das ausgehende Mittelalter - diese
Gruppe als Patrone der Bildhauer, Steinmetze, Werkmeister und Poliere. Seit
Bestehen des Kölner Diözesanmuseums (1853) zählt sie zu dessen Bestand. Nach
sechs Jahren umfangreicher und teilweise sehr kleinteiliger
Restaurierungsarbeiten konnte die kostbare Kleidung der Vier ebenso wieder zum
Leuchten gebracht werden wie die frappierend wirklichkeitsgetreue Gestaltung
ihrer Gesichter - der Polier hat ein Doppelkinn und der Steinmetz ist schlecht
rasiert. Vier Individuen eben, denen ihr künstlerisches Selbstbewusstsein als
,artifex‘ deutlich anzusehen ist. Galten doch im Mittelalter diese Personen
dank ihrer handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten als besonders herausgehobene
Individuen. Dem kuratorischen Ansatz der Ausstellung, eben mit dem Medium Kunst
über den Begriff des Individuums zu reflektieren, wird mit den
mittelalterlichen Vertretern der Kölner Dombauhütte, sicher nicht nur zur
Freude der einheimischen Besucher, in wunderbar berührender Weise entsprochen.
Einen
Raum weiter ergreift die Besucher ebenfalls berührend, aber ganz anders
geartet, die Individualität vom „Burgtreswitzmensch“. Anhand von Fotografien,
einer Video-Projektion, Textblättern, Zeichnungen, zahlreicher
Archivmaterialien und persönlicher Gegenstände – etwa eine Strohpuppe oder
einer zerknitterten Postkarte - nähert sich Kurt Benning (geb. 1945) der
Individualität eines einzelnen Lebensweges. Über die persönlichen
„Hinterlassenschaften“ erzählt der Künstler von einem Mann und dessen Mutter,
die auf einer einsamen Burg im oberpfälzischen Treswitz gestrandet waren und
dort ein Leben in weitestgehender Abgeschiedenheit lebten. Benning hatte den
„Burgtreswitzmensch“ auf dessen ,Zeitinsel‘, auf der dieser außerhalb der
tatsächlichen Zeit und Umstände zu leben und seinen Träumen nachzuhängen
schien, besucht. Viele Jahre später, nach beider Tod, besuchte Benning erneut
die Burg und fand noch einige Hinterlassenschaften. Nun hat der Künstler in
seinem „opus magnum“ seine Erinnerungen und die Objekte so zusammengestellt,
dass aufdiese Weise der dennoch
weitgehend unbekannte, einzelneLebensweg eines Individuums zwischen Vergangenheit und Verfall einige
feste Konturen bekommt. Wer möchte da nicht mehr über diesen Einsiedler, den
„Burgtreswitzmensch“, wissen?
Ein
grandioses Panorama entfaltet der größte Ausstellungsraum des allein schon als
Gebäude außergewöhnlichen Museums: Da sitzen 25 Propheten, Kirchenväter,
Märtyrer, Erzväter und Engel im Raum verteilt auf ihren steinernen Sockeln –
manche scheinen miteinander in kleinen Gruppen zu kommunizieren, andere sind
eher in kontemplativer Anschauung versunken. Die Sandsteinfiguren sind die
Originale vom Petersportal des Kölner Doms. Dort wurden die insgesamt 34
Figuren seit vielen Jahren wegen der zunehmenden Verwitterung durch Kopien
ersetzt. Die Originale, die meist noch ihren Haken auf dem Rücken tragen,
wurden weitestgehend von den berühmten mittelalterlichen Bildhauern Heinrich
Parler und Michael von Savoyen geschaffen. Jede Darstellung höchst individuell
in Form, Motiv, Gestus, Mimik. Wer sich zwischen ihnen durch den Raum bewegt,
wird fulminante Blickachsen und Dialoge entdecken – etwa mit dem elfenbeinernen
Kruzifix aus dem zwölften Jahrhundert oder auf die „94 Blätter aus der Serie
St. Paul“. Über 700 Blätter hat Martin Assig (geb. 1959) mittlerweile zu einer
Werkgruppe zusammengetragen. Die Ornamente, Körper- und Satzfragmente – beispielsweise
das ungemein suggestive Bild „Ich sehe in Dich hinein“ – sind voller
Anspielungen und Verweise auf Profanes und Persönliches, Alttägliches,
Literarisches, Musikalisches und anderes mehr.
Die
auf den ersten Blick einheitlich anmutende, aber eben aus vielen Einzelbildern
zusammengesetzte Werkgruppe evoziert für die Betrachter eine doppelte Spannung.
Zum einen ist es die dialogische, mitunter auch irritierende Anordnung der
Bilder miteinander, zum anderen ist es ihre Einbettung und dialogische Beziehung
innerhalb der Ausstellung – hier vor allem zu den Sandsteinfiguren des
Petersportals. Wie verhält sich der Mensch im Alltag, wie verhält er sich als
Künstler? Nicht zuletzt: Wie verhält er sich als Glaubender? In einer
faszinierenden Darstellung aus dem 17. Jahrhundert bildet die ,Heilige
Dreifaltigkeit‘ den Mittelpunkt eines Ausstellungsraumes, in dem sich außer der
Lindenholzskulptur nur noch die fünf Bilder „Me in a no-time state“ von Chris
Newman (geb. 1958) befinden. Newman zitiert in diesen fünf Bildern bedeutende
Arbeiten der klassischen Moderne, hält sich gleichsam die Originale vor sein
künstlerisches Auge und entfaltet daraus seine individuellen Kopien. Er fertigt
gleichsam Bilder aus der Vergangenheit für die Betrachtung in der Gegenwart und
Zukunft. Diese wiederum korrespondieren mit der Darstellung der Dreifaltigkeit,
in welcher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zeitlos gültig
aufeinandertreffen.
Es
ist eine Vielzahl an Wegen und auch Einladungen, Gefühlen, Assoziationen und
Gedanken, die Kolumba dem Individuum aufgibt – sei es durch die jeweiligen
Künstler und ihre Objekte, sei es an die Besucher während ihres Rundgangs.
Selbstbefragung, Erinnern, Verfall gehören dabei ebenso zu den großen Linien
der Schau wie auch die Spurensuche auf die Antwort nach der eher politisch
motivierten Frage, inwieweit aktuell die Freiheit der Entfaltung des
Individuums bedroht ist oder eingeschränkt wird.
Bis 14. August 2017; täglich (außer
dienstags) 12 bis 17 Uhr.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.