Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 07.11.16 |
von Gabriela Sperl
SG: Frau Sperl, Sie sind
Grimme-Preisträgerin, Drehbuchautorin, Produzentin und Professorin an der HFF
in München. Darüber hinaus wurden sie mehrfach ausgezeichnet, so 2015 mit dem
Bayerischen Fernsehpreis. Bei Filmen wie „Stauffenberg“, „Die Flucht“, die Trilologie
„Mitten in Deutschland“, „Operation Zucker. Jagdgesellschaft“,„Tannbach - Schicksal eines Dorfes“, „Die
Spiegel Affäre“ und viele andere waren sie federführend beteiligt. Was macht
einen guten Film aus? Was motiviert Sie für politische Themen, die bei Ihnen
immer wieder eine große Rolle spielen? Das Deutsche Fernsehen ist ja für seine
Seichtigkeit auch bekannt.
Gabriela Sperl: Unsere Welt hat sich in den letzten Jahren sehr
verändert. Vor 15 Jahren habe ich historische Stoffe in die Filme einfließen
lassen, weil man diese oft vergisst oder weil die Themen tabuisiert wurden.
Heute verändern sich die politischen Themen so radikal, wird an den Grundsätzen
unserer Demokratie so stark gerüttelt und Schieflagen erzeugt, dass man den
Stoff in der Gegenwart findet. So auch bei meinem Film über TTIP. Durch die
Globalisierung, die sowohl positive als auch negative Auswirkungen hat, haben
wir ein Themenspektrum, die einem ans Herz und an die Nieren gehen. Ein guter
Film, davon bin ich überzeugt, kann in den Köpfen der Menschen etwas verändern,
ein Anstoß sein, die Dinge anders zu betrachten. Das sind die Chancen, die wir
mit fiktionalen Filmen haben, dass man die Menschen eben nicht mit Fakten
überhäuft, sondern sie provoziert, sie aufrüttelt, sie dazu bringt vielleicht
nachzudenken oder vielleicht mal zu Googlen, was dahinter steht.
SG: Mit „Geraubte Wahrheit“
haben Sie nun einen weiteren brisanten ARD-Degeto-Thriller für das Fernsehen
produziert, mit Starbesetzung und unter der Regie von Sherry Hormann. Auf der
Webseite stand zum Film: „Was ist eigentlich mit unseren Demokratien los, wenn
Politik nur noch hinter verschlossenen Türen unter Ausschluss der
Öffentlichkeit stattfindet?“ Was ist eigentlich mit unserer Demokratie los?
Gabriela Sperl: Das ist für mich der Grund gewesen, warum ich den Film
über TTIP unbedingt machen wollte, weil bei diesem Freihandelsabkommen gegen
die Freiheit der Menschen eine politische-wirtschaftliche Idee durchgesetzt
wird. Globaler Handel und offene Grenzen sind wichtig, nur dass über das
Handelsabkommen so wenig kommuniziert wird, und keiner so richtig weiß, worum
es eigentlich geht, diese Geheimniskrämerei hat mich geärgert und zum Film
veranlasst. Es werden immer nur die Vorteile i politischen Diskurs
hervorgehoben, aber nicht die Nachteile, die nicht zu übersehen sind. Statt
Transparenz Stillschweigen. Zu einer Demokratie gehört das offene Gespräch.
Wenn dieses nicht stattfindet, wenn Lobbyisten und Großkonzerne uns den Mund
verbieten, dann muss man dagegen angehen, auch um den Menschen den Mut zu
geben, dass sie bei diesen Entscheidungen, die die hohe Politik fällt, doch ein
Mitspracherecht haben. Mir geht es um ein Mehr an Transparenz und in einem
Totschweigen sehe ich eine Gefahr für den freiheitlichen Diskurs, den unsere
Gesellschaft auszeichnet. Im Falle von TTIP wäre es klüger gewesen, mit offenen
Karten von Anfang an zu spielen so hat das Ganze etwas Mystisches und entfacht
ja geradezu die Neugier, sich mit diesem Thema intensiver zu beschäftigen.
SG: Ihr Film richtet sich auch
gegen die Korruption. Glauben Sie eigentlich, dass TTIP noch zu stoppen ist?
Gabriela Sperl: Zunächst haben viele ihren Unmut gegen TTIP bekundet.
Wenn es dennoch „durchgeprügelt“ wird, dann nicht ohne Schaden für die
Demokratie. Die weitreichende Politikverdrossenheit, die dann in ihrer
perfidesten Form im Wutbürger kulminiert, wird dadurch weiter beflügelt. Es
führt auf alle Fälle zu einem Vertrauensverlust und zu einer Unmündigkeit des
Staatsbürgers.
SG: Ihr Film spielt im Herzen
der Europäischen Union, in Brüssel. Und die Negativprotagonisten sind
Lobbyisten. Wie stark ist der Lobbyismus bei diesem Thema wirklich? Die
detailgenauen Recherchen von Drehbuchauto Florian Öhler haben sehr aufgewühlt -
also wie ist das hier mit Fiktion und Realität?
Gabriela Sperl: Ich glaube, dass wir geheim reguliert werden. Aber
diese Regulierung geschieht heute viel subtiler. Früher wurden Menschen einfach
beseitigt, heute werden Menschen ganz anders ausgeschaltet. Sie verlieren ihre
Jobs, ihren Einfluss und werden deformiert. Viele Forscher, die nachgewiesen
haben, dass Glyphosat gefährlich ist, haben ihre Lehrstühle verloren. Mit geht
es im Angesicht solcher Prozesse darum, wie man dagegen opponieren kann, um den
Gesunden Menschenverstand und die Opposition, um den Mut, gegen das System
anzukämpfen.
SG: Auch der Verstrickung von
Lobbyismus und den Medien, den gekauften Medien, räumen Sie in Ihrem Film einen
breiten Raum ein. Sind die Medien oder angeschlagenen Medien korrumpierbar,
gekauft? Hat die AfD dann eigentlich doch Recht, wenn sie von der Lügenpresse
spricht, oder?
Gabriela Sperl: Ich sehe das sehr viel differenzierter. Natürlich sind
gewisse Überspitzungen im Film der Dramatisierung einer solchen Geschichte
geschuldet. Aber dass Verlage unter Druck stehen, weil die Kassen immer leerer
werden, weil Anzeigen fehlen, Mitarbeiter und das Niveau durch die Einsparungen
leiden, dies führt dazu, dass der investigative Journalismus, der teuer ist,
immer mehr das Nachsehen hat.
SG: In Ihren Filmen spielen
Ethik und Moral immer eine große Rolle. Und es ist ja nicht so, dass Sie das
mit der Besserwisser- oder der moralischen Keule-Mentalität dem Publikum
vermitteln. Mit dem Fingerzeig quasi. Welchen Stellenwert haben Ethikund Moral?
Gabriela Sperl: Mir geht es immer um Wahrhaftigkeit, wenigstens um den
Versuch, sich dieser zu nähern. Wenn die Moral untergraben wird, liegt es am
Einzelnen sich dagegen aufzulehnen. Das Unmoralische in der Gesellschaft, in
der Politik, kann nur aus einer Gegenbewegung heraus gestoppt werden, wenn sich
der Einzelne für sich selbst als ethisches Wesen entscheidet. Im Film
beispielsweise vernichtet die Chefredakteurin das Material, das die Agrarfirma
belastet, um die Arbeitsplätze ihrer Belegschaft zu sichern. Sie nimmt damit in
Kauf, die Wahrheit zu vertuschen, aber sie ermöglicht umgekehrt ihren
Mitarbeitern, nicht in die Arbeitslosigkeit zu fallen. Dass das moralisch ist,
mag ich bezweifeln- Wahrheit oder Existenz – das ist hier die Frage. Die einen
entscheiden sich für das erstere, die anderen für das zweite. Es sind diese
Ambivalenzen, die sich Leben ausmachen. Sie sind die eigentlichen Herausforderungen,
vor denen wir stehen. Und diese Ambivalenzen dem Publikum darzulegen, darin
sehe ich meine Aufgabe. Letztendlich kann und muss der Zuschauer dann
entscheiden, welche Option er für die moralisch-richtige hält. Diese Option
überhaupt erst herauszuarbeiten und filmischzu inszenieren, halte ich für wichtig. Wir müssen lernen, die Dinge
genau zu betrachten, müssen die Augen offenhalten. Ein bloßes Wegducken bringt
keinen weiter, denn das macht uns zu a-politischen Wesen, die den Mut
verlieren, sich für eine Sache zu engagieren und dafür zu kämpfen. Kurzum: Wir
müssen wieder mehr Haltung lernen, denn diese Haltung gibt uns Hoffnung,
Hoffnung, dass wir etwas verändern können und gegen politische Entscheidungen
ankämpfen können.
Fragen: Dr. Dr. Stefan Groß
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