Erschienen in Ausgabe: No. 36 (2/2009) | Letzte Änderung: 08.04.09 |
von Robert Lembke
Das
ehemals nationalsozialistische „Haus der deutschen Kunst“ steht trotz seiner
vermeinten Monumentalität seltsam unauffällig in der Gegend. So eingebaut liegt
es an der Straße, daß man nie in den rechten Abstand kommt, um sich von der
Wuchtigkeit dieses als Musentempel gemeinten Baus beeindrucken zu lassen. Eingeschlossen
zwischen dem viel frischer wirkenden Prinz-Carl-Palais und dem Münchner
Eisbach, auf dem die in Neoprenanzüge gehüllten tollkühnen Surfer mit ihrem
immergleichen Hin und Her Mengen an Zuschauern anlocken, bilden die Kolonnaden
des Kunsthauses stumme Zeugen einer vergangenen Zeit. Eher noch an der
Rückseite mit der großzügigen Terrasse, zu der zwei ausladende Freitreppen
hinaufführen, läßt sich jene unheilvolle Zeit deutscher Geschichte erahnen, aus
der das Gebäude stammt. Am Eingang gemahnt ein in die Eingangstür eingelassenes
Täfelchen an den Ursprung und die einstige Bedeutung dieses Ortes, den Adolf
Hitler 1937 persönlich eingeweiht hatte als Hort einer Erneuerung der genuin
deutschen Volkskunst. Weiter oben prangt in dicken Lettern ein rätselhafter
roter Schriftzugauf dem Gebälk: „Reihen
von Kohl mit roter Tinte markiert und morgen vergraben.“ Der Künstler Lawrence
Weiner hat dieses Stigma 2007 am Gebäude installiert, ohne mit ihm einen genau
bestimmten Sinn verbinden zu wollen; wenn man jedoch auch nicht sicher weiß,
was hier gemeint ist, so reicht das leuchtende Rot doch hin, zu verstehen, wie
er gemeint ist: als geschichtliches Eingedenken.
Der
Besucher, der schon in das Gebäude geschlüpft ist, bevor sich ihm dessen
Dimensionen erschließen, betritt ein quadratisches Foyer, dem sich nach links
und rechts Seitengänge anschließen; Übersichtlichkeit und Farbigkeit wirken
einladend; drinnen herrschen, ausgehend von der Weite und Höhe der Räume,
Klarheit und Kühle. Das Haus beherbergt aktuell vier Ausstellungen, die
Hauptattraktion bildet eine stadtweit beworbene Ausstellung der abstrakten
Bilder Gerhard Richters. Der Großteil der Leute strömt in diesen Teil des
Gebäudes, jedoch sind es selbst an diesem Samstagnachmittag nicht so viele
Besucher, dass ein unangenehmer Andrang den Blick auf die Werke verstellte. Am
Eingang zur Ausstellung bekommen wir einen im Preis inbegriffenen Audioguide,
der sich nachher als zwar launischer, jedoch bereichender Begleiter erweisen
sollte. Währenddessen macht eine Frau vehement ihrem Ärger darüber Luft, sich
zeitweilig von ihrer Handtasche trennen zu müssen; dabei kleidet sie ihren
kosmopolitisch verbrämten Kleinmut in die Worte, so etwas gebe es aber wirklich
nur in München, weshalb sie das Recht habe, erbost zu sein. Die beschwichtigenden
Worte des Empfangspersonals wirken künstlich.
Erster
Eindruck: Richters oft viele Quadratmeter einnehmende Leinwände passen
außerordentlich gut in die hohen, weiträumigen Säle. Was die Orientierung
angeht, so folgt zwar unser Audioguide der Chronologie der Arbeiten Richters,
der sich seit den Achtzigern verstärkt der Abstraktion zuwandte, die Hängung
der Exponate beruht jedoch auf einem anderen Prinzip, nämlich dem einer
optimierten, auf gesteigerte Wirkung zielenden Anordnung der Bilder. Diese ist,
wie man später erfährt, von Richter persönlich gewählt worden – was nun allerdings
dazu führt, dass man beim Versuch, der Chronologie zu folgen, kreuz und quer
durch die Räume irrt, sich sozusagen das Zusammengehörige jeweils von den
Wänden zusammensucht. Dabei bleibt es auch nicht aus, festzustellen, dass
Bilder einer Serie in verschiedenen Räumen hängen.
Eines
der ersten großen Exponate, auf die man stößt, ist ein Bild aus dem Jahr 1986
mit dem Titel „Claudius“. Intensive Gelb-, Rot- und Blautöne durchziehen das
Bild, das Auge sucht inmitten des Gestaltlosen nach Anhaltspunkten – und fast
meint es sie zu in einigen grau gemalten Details zu finden, die aussehen, als
wären sie abgeschnittene Körperteile: hier etwas wie ein Arm, dort vielleicht
eine Hand. Es sind die einzigen Objekte mit einer gewissen Räumlichkeit,
ansonsten dominieren – das gilt für nahezu alle hier ausgestellten Bilder
Richters – zweidimensionale Flächen, die sich in- und übereinander schieben.
Den Schichteffekt erreicht Richter, in dem er mit verschiedenen Instrumenten
die Ölfarbe erst aufträgt und dann wieder abkratzt, mit diversen Pinseln,
Spachteln und der Rakel, einem speziellen Abstreifholz.
Es
scheint müßig, über den Titel des Bildes zu spekulieren; nicht alle Bilder
Richters tragen Titel, viele sind bloß numeriert. Der Audioguide schlägt die
Deutung vor, es sei hier der römische Kaiser Claudius gemeint, der dereinst
Richters Wahlheimat Köln das Stadtrecht verlieh. Schön und gut – aber wo ist
der Bezug zum Bild? Auch die alternative Anekdote, ein kunstverständiger Mensch
habe beim Betrachten des Bildes spontan die berühmten Verse ausgerufen: „Der
Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen“ (Matthias Claudius) löst
das Rätsel des Bildes nicht auf.
Der
weitere Gang der Ausstellung führt uns zu Richters Bilderzyklen der 80er und
90er Jahre. Die dreiteilige Serie „Schräge – Stand – Grad“ und die vierteilige
„Atem – Kurs – Fluß – Fels“ zeigen uns Transformationen ausgewählter
Farbmotivik, in die mit Hilfe von horizontalen oder vertikalen Linien und
Musern eine gewisse Dynamik eingetragen ist. Richters Verfahren zeigt sich hier
als eine Art „geplante Spontaneität“, beeinflußt vom action painting Jacksons
Pollocks, dessen Betonung des Zufallselements den Bildern gleichfalls eine
gewisse Hermetik sichern sollte.
Beim
weiteren Durchstreifen der Ausstellung, auf der Suche nach dem nächsten Bild,
fallen die vielen Museumsbeamten auf, die alle mit einem großen Button
gekennzeichnet ist. Auf dem einer beschwingten jungen Dame steht
„kunstauskunft“, und prompt kommen wir mit ihr ins Gespräch. Ihr leichter
osteuropäischer Akzent wirkt sympathisch und macht es uns vielleicht leichter,
Fragen wie die nach der Stellung der abstrakten Malerei im Gesamtwerk Richters
zu stellen.
Wieder
stärker im Gegenständlichen sind wir bei den Bildern „St. Johns“ und „St.
Gallen“ sowie der Serie „Schwan“, von der uns allerdings nur die Bilder zwei
und drei präsentiert werden. Auf den beiden erstgenannten meint man tatsächlich
so etwas wie Landschaft oder Gebäudestruktur wahrzunehmen, evoziert freilich durch
die von den Titeln ausgelöste gestaltsuchende Wahrnehmung. In den beiden Werken
mit dem Titel Schwan meint man wieder räumlich zu sehen; beunruhigend wirken
sowohl die dunkle Wasserfläche wie das versprenkelte Rot auf den Betrachter,
der sich unwillkürlich zu fragen beginnt, wie es dem Schwan wohl ergangen ist.
Die
1992 entstandene Serie mit dem erneut doppeldeutigen Titel „Bach“ bringt uns
stärker der harmonischen Seite von Richters abstrakten Bildern näher. Die
ineinander verfließenden Flächen aus Lindgrün, Hell- und Weinrot sowie
Dunkelblau erzeugen das Gefühl einer ungegenständlichen Tiefe, wie sie auch der
Musik, erst recht der Bachs, die fürRichter eine herausragende Bedeutung hat, eignet. Aber auch die
Anspielung auf das Wasser eines Bergbachs scheint treffend; Richter geht es
hier offenbar darum, die Grenzen der Malerei, ihre Annäherung an
Nichträumlichkeit, verbunden mit quasi-musikalischer Gemütstiefe, auszuloten.
Noch radikalisiert wird dieses Verfahren in den puristisch anmutenden Bildern
der Serie „Rot-Blau-Grün“ (1994), in denen durch die Reduktion auf nur noch
zwei Farben pro Bild eine fast meditative, sich dem Betrachter unmittelbar
aufdrängende Wirkung erzielt wird. Im Vergleich zu den überbordenden
Farbexzessen der früheren Jahre, die den Blick geradezu abzuwehren versuchen,
sind dies die eingängigsten Kreationen Richters: so als drohten sie, den
Betrachter ins Innere zu ziehen.
Ganz
anders wiederum Richters Arbeiten im dritten Jahrtausend: In den Bilderzyklen
„Wald“ und „Cage“ tritt die Farbigkeit zurück zugunsten von Schwarz- und
Grautönen, die nun die Leinwand dominieren und bloß gelegentlich chromatisch
durchbrochen werden. Die schrittweise Veränderung in den 12 Bildern des
Wald-Zyklus, die das Zentrum der gesamten Ausstellung bilden, bleibt
deutungsoffen: vielleicht verschiedene Regionen eines Waldes, oder der Wechsel
der Jahreszeiten mit ihrer charakteristischen Beleuchtung. Durchgängig
grundiert wird die Serie vom Dunklen, Schemenhaften des Waldes; und obwohl es verwegen
wäre es, hier eine Beziehung zu Ernst Jüngers „Waldgang“ herstellen zu wollen,
meint man doch den Wald als genuin deutschen Topos stimmungsmäßig
wiederzufinden.
Ähnlich
und doch ganz anders die ein Jahr jüngere, sechsteilige Bilderfolge „Cage“ von
2006, deren Bezug auf John Cage uns der Audioguide bestätigt. Hier werden die
vier mittleren Bilder, die von einem harten, metallischen Grau dominiert sind,
gerahmt von zwei stärker für sich stehenden Werken, in denen die geschichtete,
linierte oder getupfte Flächigkeit der früheren Bilder wiederzukehren scheint,
und mit ihr die Möglichkeit des (musikalisch) Disharmonischen.
Es
ist spät geworden, der Nachmittag verging beinahe unbemerkt. Eine Ruhepause auf
den ausreichend zahlreich bereitgestellten Sitzgelegenheiten gewährt der
Beobachtung der Szene Gelegenheit. Das zumeist ältere Publikum – wenn man jüngere
Menschen sieht, dann meist Pärchen – versucht dem Rätsel und der Faszination
der gemalten Abstraktion näher zu kommen. Dabei halten sich manche am
Telefonhörer des Audioguides fest, als führten sie ein wichtiges
Geschäftsgespräch; ein Herr mittleren Alters, Typ Professor, macht Notizen in
ein mitgebrachtes Heft. Die Angestellten des Hauses versuchen mangels
Beschäftigung, im Gespräch oder auf individuelle Weise über den Tag zu kommen.
Für
das Ende der Ausstellung hat man noch ein Highlight in der Hinterhand behalten.
Entlang der hinteren Wand der Ausstellungsräume erstrecken sich 100 kleine
Lacktäfelchen, die auf je 30x30 cm hinter einer Glasplatte immer neue
Variationen scharf konturierter Farbornamente darbieten, von deren Glätte und
eigentümlicher Formlosigkeit eine ganz eigene Faszination ausgeht. Der Künstler
ist hier als Schöpfer zurückgetreten; er betätigt sich bloß noch als Demiurg,
der dem zufälligen Fluß der Lackfarben das Feld überläßt, um erst nachträglich
das Ergebnis zu goutieren. „Sindbad“ lautet der seltsam passende Titel dieses
Anordnung – und dennoch: die wahrhaft bunte Mischung aus Fries und Ornament kommt
der Grenze zum Kitsch gefährlich nahe. Vielleicht ist dies ja auch als
Auflockerung gemeint – nach gut zwei Stunden Abstraktheit und angestrengten
Deutungsversuchen sind jedenfalls die Augen ermüdet und die Wahrnehmung stumpf
geworden. Es liegt wohl auch an der größeren Widerständigkeit der abstrakten
gegenüber gegenständlichen Bildern, dass man sich nachher so erschöpft fühlt;
die anderen drei Ausstellungen im Münchner „Haus der Kunst“ werden jedenfalls
warten müssen.
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