Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 27.04.09 |
von Egidius Schwarz
Selten war Philosophie so populär wie in diesen Zeiten. Was sich
üblicherweise nur am Kamin in später Stunde im erlesenen Kreis bei Panzer oder
Scobel abspielte, hat nun auch die abendlichen Sendeplätze erreicht. Kaum eine
Woche vergeht, an dem er nicht zu Wort kommt, der aufstrebende Publizist,
Journalist und Philosoph Richard David Precht.
Precht, 1964 in Solingen geboren, studierte Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln und wurde
1994 mit einer Arbeit über Robert Musil promoviert. Fast, so möchte man meinen, gelingt ihm das
Unmögliche: Er erobert die Bestsellerlisten, erweist sich zunehmend als
routinierter Rhetoriker, der zu allem etwas zu sagen weiß.
Precht ist der Shooting Star
der gegenwärtigen Philosophie, er wird von seiner Fangemeinde schon liebevoll als
Zeitgeist-Philosoph gefeiert. Es ist nicht Wilhelm Vossenkuhl, der im
Bayerischen Fernsehen über philosophische Fragen reflektiert, der vom
Mainstream wahrgenommen wird, sondern eben Precht, der auch in erlesene Zirkel,
wie dem philosophischen Quartett Einlaß findet. Fast spielerisch, bei weitem aber
nicht so sicher und überlegen im Auftreten wie die renommierten Größen der
akademischen Szene, reflektiert er über den Zeitgeist, die Liebe, die
Neurobiologie und über das Glück.
Fast aus dem Nichts legte Precht zwei Bestseller in Kürze vor, wobei das
Nachschieben des Liebe-Buches taktisch hervorragend eingefädelt war. Von selbst
entwickelt „Liebe, Ein unordentliches Gefühl“ eine Eigendynamik, die von „Wer
bin ich und wenn ja, wie viele?“ profitiert. Fest steht: Precht macht Schluß
mit der oft unverständlichen und mit Fremdwörtern übersäten Sprache, die
Philosophen von Haus aus eigen ist. Fast leichtfüßig plaudert er über die
abendländische Geschichte, als sei diese ein in sich geschlossenes System, das sich so nebenher verstehen läßt. Philosophie für den Hausgebrauch, dies ist wohl das
Geheimrezept Prechts.
Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich seine
Auseinandersetzung mit der Philosophie als blasse Geschichtsschreibung, die
sich zwar an den großen Fragen entlang hangelt, diese aber natürlich ebensowenig
zu beantworten weiß. Man muß nicht erst Precht lesen, um zu wissen, daß „Philosophie
ohne Naturwissenschaft“ leer ist. „Und Naturwissenschaften ohne Philosophie“
blind. Vieles, was hier zu lesen ist, ist bekannt, allzu bekannt. Und dennoch,
oder zum Trotz, Prechts Bücher verkaufen sich. Laut Spiegel-Jahres-Bestsellerliste
war zumindest „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ das erfolgreichste deutsche
Hardcover-Sachbuch des Jahres 2008.
Bei aller Kritik, die man im Einzelnen anführen könnte, die
Fasrigkeit und Detailverliebtheit, die einen insbesondere in seinem Liebebuch
„Liebe, ein unordentliches Gefühl“ ermüdet, Precht gelingt es, so scheint es
zumindest, die Philosophie wieder im Leben zu verorten, sie, die zu Tode reflektierte
Wissenschaft, die in ihrer Selbstbescheidenheit zu Anfang nichts anderes als
die Freundin der Weisheit sein wollte, wieder zu beleben.
Nun gibt es zwar eine Vielzahl von gut geschriebenen
Sachbüchern in der Philosophie, die sich den trocken-akademischen Stil auch
verkneifen, doch keinem von diesen gelang nur annähernd der Erfolg, der sich
bei Precht einstellte. So sehr der kritische Leser diese Art und Form
Philosophie zu betreiben, beargwöhnt, Precht, der seine Gedanken einer „breiten
Menge“ vortragen will, sei sein Erfolg vergönnt, selbst wenn dieser in aller
Unbescheidenheit vermerkt: „Wenn über 200.000 Leute mein Buch lesen und sich
damit beschäftigen, ist das toll für die Gesellschaft.“ Vielleicht scheint
diese Auseinandersetzung mit der Philosophie, wenngleich dies traurig wäre, die
derzeit einzig mögliche. So sehr die akademische Elite auf Precht vom
Katheder herablächelt, möglich wäre, daß diese Populärphilosophie der
akademischen den Rang abläuft.
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