Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 28.04.09 |
Thomas Junker, Sabine Paul Der Darwin Code. Die Evolution erklärt unser Leben C.H. Beck, München (Januar 2009) 224 Seiten, Gebunden ISBN-10: 3406584896 ISBN-13: 978-3406584893 Preis: 19,90 EURO
von Heike Geilen
Über Charles Darwin kann man derzeit viel in den Medien
lesen und hören. Feierte der große Evolutionsbiologe doch am 12. Februar 2009
seinen 200. Geburtstag. Und auch die Veröffentlichung seines spektakulärsten
Werkes "On the origin of species"
(dt. "Die Entstehung der Arten")
begeht in diesem Jahr einen runden, den 150. Jahrestag.
Dass sich gerade dieses Werk und eine spätere
Veröffentlichung "The decent of
man, and selection in relation to sex" (1871) auch als wissenschaftlicher
Begleittext zu Bizets berühmter Oper "Carmen" lesen lässt, hätte man
dann doch nicht vermutet. Doch die beiden Autoren des vorliegenden, äußerst
unterhaltsamen, fundierten und interessanten Buches "Der Darwin Code. Die Evolution erklärt unser Leben" stellen
nicht nur diese gewagte These auf, sie versuchen sie auch zu "beweisen".
Warum lieben wir Hamburger, Schokolade und Pommes? Warum
sind Frauen schön? Woraus beziehen Menschen ihre Macht gegenüber den Tieren?
Warum hat Kunst solch immense Bedeutung für die gesamte Menschheit? Dies sind
nur einige Fragen, die sich der Professor für Geschichte der Biowissenschaften
und Mitherausgeber von Darwins Briefwechsel in Cambridge Thomas Junker sowie die
Molekular- und Evolutionsbiologin Sabine Paul stellen. Obwohl die Darwin'sche
Revolution in den Naturwissenschaften bereits weit fortgeschritten ist, hat sie
in anderen Bereichen und vor allem im Bewusstsein vieler Menschen kaum
begonnen. Nun kann sicherlich die Evolutionstheorie (noch) nicht alles
erklären, aber gerade solch ungelöste Probleme eröffnen faszinierende neue
Forschungsfelder, von denen dieses Buch berichtet.
So vermutete bereits der Philosoph Immanuel Kant in seinem 1786
erschienenen Werk "Metaphysische
Anfangsgründe der Naturwissenschaft", dass in der Wissenschaft vom
Menschen "nur so viel eigentliche
Wissenschaft angetroffen werden kann, als darin Evolutionstheorie anzutreffen
ist". Ob diese auch bestimmte Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen
des modernen Menschen erklären kann, dem nehmen sich die beiden Autoren an.
"Viele für Menschen typischen
Eigenschaften werden erst verständlich, wenn man sie aus der Darwin'schen
Perspektive betrachtet", sind sich die Thomas Junker und Sabine Paul
sicher. Exemplarisch zeigen sie dies in ihrem Buch und dokumentieren damit die
"Deutungsmacht einer neuen,
evolutionären Kulturwissenschaft".
Wir sind immer noch
steinzeitliche Jäger und Sammer
In drei große Kapitel ist das Sachbuch gegliedert.
Im ersten Teil befassen sich Junker und Paul mit den in
jedem Menschen biologisch angelegten Verhaltensweisen, die doch vielfach fremd
und unerklärlich wirken. Dazu gehören die größtenteils ungesunde
Ernährungsweise mit fetten, süßen und salzigen Speisen, die sexuelle
Partnerwahl, die zu einem entscheidenden Faktor in der Evolution der Menschen
wurde und das biologisch paradox anmutende Verhalten der modernen
Selbstmordattentäter.
Der zweite Teil steht unter dem großen Slogan: Geheimwaffe
Kunst.
Hier wenden sich die Autoren Eigenschaften zu, "die für Menschen charakteristisch sind und
bei anderen Tieren nur ansatzweise beobachtet werden können - der Kultur, der
Kunst und der Religion." Sie diskutieren mögliche Selektionsvorteile
dieser Eigenschaften, auch in Bezug auf das Aussterben des Neandertalers, legen
eine neue Theorie vor, die zeigt, warum Kunst bis heute einen zentralen
Stellenwert des modernen Menschen einnimmt und kommen auf die Frage zu
sprechen, wie und warum die Religion aus der Kunst entstand.
Im letzten Kapitel begeben sie sich auf ziemlich glattes
Terrain, denn zum freien Willen und dem Sinn des Lebens trägt nach Meinung
vieler Autoren die Evolutionstheorie rein gar nichts bei. Thomas Junker und
Sabine Paul sind jedoch anderer Meinung. Sie vermuten, dass es sich gerade
andersherum verhält.
Eines vertreten beide jedenfalls mit Vehemenz: "Darwins Theorie ist der Code, der geheime
Schlüssel, der das Verständnis vieler rätselhafter Verhaltensweisen der
Menschen erst ermöglicht. [...] Denn in unseren typisch menschlichen Gefühlen,
Gedanken und Verhaltensweisen sind wir noch steinzeitliche Jäger und Sammer."
Für die Autoren ist die Biologie zweifelsohne "ein wichtiges Korrektiv, wenn sie die Missachtung der menschlichen
Natur durch gesellschaftliche Vorgaben offenlegt und Menschen als biologische
Wesen versteht, die mit Gefühlen, Bedürfnissen und Interessen ausgestattet
sind, ohne deren Erfüllung sie nicht glücklich werden können."
Fazit:
Thomas Junker und Sabine Paul haben mit "Der Darwin Code" ein anschauliches,
verständliches und durchaus überzeugendes Buch vorgelegt, welches einige
ausgewählte Verhaltensweisen und Eigenschaften des modernen Menschen anhand der
von Charles Darwin begründeten Evolutionstheorie vorurteilsfrei und
unkonventionell zu erklären versucht. Dabei bleibt sicher noch einiges im
spekulativen Bereich angesiedelt, aber interessant ist es allemal, darüber
nachzudenken.
Eines sollte jedoch klar sein, und darauf weisen die Autoren
auch hin, für Leser, "die
wissenschaftliche Ergebnisse und Theorien nur dann akzeptieren, wenn sie
emotional gefällig, moralisch einwandfrei und politisch korrekt sind",
ist dieses Buch nicht geeignet.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.