Erschienen in Ausgabe: No. 38 (4/2009) | Letzte Änderung: 30.08.11 |
Ein Gespräch mit dem Chefarzt der Palliativstation des Universitätsklinikums Jena, PD. Dr. Ulrich Wedding.
von Ulrich Wedding
Nach den Definitionen der
Weltgesundheitsorganisation und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
ist die Palliativmedizin „die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten
mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten
Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative
Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, anderen
Krankheitsbeschwerden, psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen
höchste Priorität besitzt“, die über eine rein palliative Therapie hinausgeht.
Nicht die Verlängerung der Überlebenszeit um jeden Preis, sondern die
Lebensqualität, also die Wünsche, Ziele und das Befinden des Patienten stehen
im Vordergrund der Behandlung. Neben der medizinischen Behandlung wird in der
Palliativmedizin auch großer Wert darauf gelegt, die Patienten psychologisch,
sozial und spirituell zu versorgen.
Erst Ende Februar hat
der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch das Ende seiner „Karriere“
als Sterbehelfer verkündet. Was halten Sie von einer derartigen Praxis, wie sie
auch von dem Schweizer Unternehmen Dignitas praktiziert wird?
Der Vorschlag des Hamburger Justizsenators Roger Kusch ist
natürlich bei denjenigen, die sich hauptamtlich mit Palliativmedizin
beschäftigen, nicht auf Gegenliebe gestoßen. Der Ansatz der Palliativmedizin
ist es, daß der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe, nach aktiver Verkürzung des
Lebens, nur sehr selten, fast nie, geäußert wird. Dann, wenn eine intensive
palliativmedizinische Betreuung für den ganzen Menschen berücksichtigt wird,
tritt der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe in den Hintergrund.
Welche
Qualitätsmerkmale bei der Sterbebegleitung sind in ihren Augen die wichtigsten?
Die deutsche Begriffsbezeichnung palliative Therapie und
palliativmedizinische Behandlung ist verwirrend. Zunächst wird von Seiten des
Arztes zwischen einer kurativen Therapie unterschieden, die auf Heilung aus ist,
und einer sich davon abgrenzenden nicht-kurativen, häufig auch als palliative
Therapie bezeichneten Vorgehensweise. Mit der palliativen Therapie kann aber
eine ausgeprägte Lebensverlängerung, eine gute Symptomkontrolle verbunden sein.
Palliativ-medizinische Ansätze im Speziellen sind diejenigen, die durch dargestellte
Definition der Palliativmedizin durch die Weltgesundheitsorganisation oder
durch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin abgedeckt sind.
Bei der Frage, welche Qualitätsmerkmale existieren, um eine
gute Sterbebegleitung qualitativ zu erfassen, haben wir die Schwierigkeit, daß
wir mit demjenigen oder derjenigen, um die es eigentlich geht, nicht mehr reden
können, ob ein Sterben als würdig empfunden wurde, ob es eine gute
Sterbebegleitung ist oder war, so daß wir indirekte Ansätze wählen müssen.
Wichtige Punkte sind dabei: Daß der Verlauf absehbar vorbereitet ist, daß alles
besprochen wird. Wichtig aber auch, daß die Angehörigen involviert und informiert
sind. Viele wünschen sich in der Phase des Sterbens ihre Angehörigen begleiten zu dürfen. Ebenfalls
wichtig ist, daß eine gute Symptomkontrolle erreicht wird, denn die Angst vieler Patienten vor
dem Tod ist nicht so groß, als die Angst davor, daß in der Sterbesituation
unerträgliche Schmerzen auftreten können. Wenn man den
Patienten diese Sorge nehmen und ihnen versichern kann, daß sie nicht allein
sein werden, daß die Symptome ausreichend behandelt werden, dann verliert auch
die Angst vor dem Sterben an Bedeutung.
Inwieweit spielt das
Selbstbestimmungsrecht des Patienten und eine mögliche Patientenverfügung eine
Rolle? Und wie steht es mit Patienten, die weder dazu in der Lage sind noch
eine Patientenverfügung geschrieben haben?
Wir sprechen das Thema Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht,
mit den Patienten an. Wir fordern sie dazu auf, ihre Vorstellungen in einer
Patientenverfügung zu fixieren und ermutigen sie, die Person ihres Vertrauens
als Vorsorgebevollmächtigte zu benennen. Wichtig ist es immer die Patienten
darauf hinzuweisen, daß diese Patientenverfügung, diese Vorsorgevollmacht, ja
nur für den Fall gedacht ist, daß ein persönliches Gespräch mit dem Betroffenen
in der jeweiligen Situation nicht mehr möglich ist, und das es hilfreich für
diesen Fall ist, zu wissen, wie die Vorstellungen des jeweiligen Patienten dazu
sind. Liegen keine Patientenverfügungen vor, bleibt es unsere Aufgabe, die
medizinische Situation des Patienten einzuschätzen: Wie weit ist eine
Erkrankung fortgeschritten, wie weit befindet sich der Patient in einem
Sterbeprozeß! Nur so ist es möglich, den Patienten würdig zu begleiten, um ihm
auch im Tod beizustehen.
Wie gewährleisten Sie
diese Betreuung auf ihrer Station?
In einem multiprofessionellen Team. Wir haben Pflegekräfte,
Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Psychologen, Seelsorger, Sozialarbeiter, Ärzte,
Musiktherapeuten, die sich gemeinsam um den Patienten kümmern, gemeinsam die
jeweiligen Bedürfnisse und Belastungen des Patienten identifizieren, um dann zu
klären, an welchen Symptomen und Belastungen kann angesetzt werden, um die
Situation des Patienten zu verbessern. Häufig ist die Frage dabei: Was müssen
wir verbessern, damit eine Betreuung zu Hause wieder möglich ist, denn dies ist
der Platz, an dem die meisten Patienten, auch in der Sterbesituation, am liebsten
sein möchten.
Wie viele Mitarbeiter
kümmern sich im Sinne der Palliativmedizin um den „ganzheitlichen Ansatz“?
In der Abteilung Palliativmedizin sind 25 Mitarbeiter beschäftigt.
Arbeiten in ihrer
Jenaer Station auch ehrenamtliche Sterbebegleiter und wie wird ihre Station
finanziert?
Es arbeiten auf der Station Ehrenamtliche mit, die im Jenaer
Hospizverein tätig sind. Sie würden sich nicht ausschließlich als
Sterbebegleiter verstehen, sondern tragen mit dazu bei, Symptome zu verbessern,
den Patienten und den Angehörigen als Begleitung zur Verfügung zu stehen, die
Situation zu analysieren, so daß eine weitere Betreuung zu Hause möglich ist.
Die Palliativstation des Universitätsklinikums ist Teil des
Krankenhauses. Es muß für alle Patienten die Indikation zu einer stationären
Krankenhausbehandlung vorliegen, daß heißt, es ist eine ärztliche und
pflegerische Betreuung in einem Umfang notwendig, der nicht durch ambulante
Strukturen, einen Pflegedienst oder durch die Betreuung durch einen Hausarzt
gewährleistet werden kann.
Die Palliativmedizin wird über die normalen
Krankenhausentgelte, die Fall- und Schwerebezogen gestaffelt sind, finanziert.
Für die komplexen Leistungen der Palliativmedizin auf der Station ist es in
besonderen Fällen möglich, den Krankenkassen Zusatzentgelte in Rechnung zu stellen.
Worauf führen Sie es
zurück, daß die Thematik Tod und Sterben immer noch aus der Gesellschaft
ausgeklammert wird?
Wir beobachten schon, daß die Thematik Palliativmedizin in
den letzten Jahren eine größere Bedeutung in den Medien erhalten hat, daß
offener und aktiver über Themen wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, und
Tod gesprochen wird, daß intensiver darüber diskutiert wird, palliativmedizinische
Leistungen auch ambulant verfügbar zu machen. Hier sehen wir in den letzten
Jahren einen erfreulichen Wandel. Dennoch stehen in der öffentlichen Diskussion
andere Themen im Mittelpunkt: Jugendlichkeit, Schönheit, Leistung, Konsum sind
Themen, die bei der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender in den Hintergrund
treten.
Was ist ihrer Meinung
nach zu tun, damit die Palliativmedizin innerhalb des Medizinstudiums eine
größere Bedeutung erlangt?
Die Palliativmedizin ist in der derzeitigen
Approbationsordnung erwähnt, sie aber bisher kein Pflicht- und kein
Prüfungsfach. Ein Schritt in diese Richtung ist die Etablierung von
palliativmedizinischen Lehrstühlen an den Universitätskliniken in Deutschland.
Derzeit werden neue palliativmedizinische Lehrstühle in Erlangen, Bonn, Mainz
und in Kürze auch in Freiburg im Breisgau besetzt, so daß sich die Zahl der
Lehrstühle erhöht. Wir sind allerdings noch weit davon entfernt, daß an jeder
medizinischen Fakultät ein Lehrstuhl für Palliativmedizin existiert. In der
anstehenden Novellierung der Approbationsordnung ist es geplant, der
Palliativmedizin einen größeren Schwerpunkt zu geben, so daß sie dann auch ein
Prüfungsfach im Medizinstudium sein wird.
Wie gehen Sie persönlich
mit dem täglichen Leid um? Welche Rolle spielt dabei der Glaube?
Mein christlicher Glaube ist wichtig für mich im Umgang mit
dem täglich erfahrenen Leid. Die Einstellung, daß wir uns als Lebende das Leben
nicht selber nehmen können, das Leben geschenkt ist, ist wichtig. Die
Erfahrung, daß Gott auch Mensch geworden ist und auch gelitten hat, ist
wichtig, und daß er uns in jedem Menschen, dem wir begegnen, in jedem Gegenüber
entgegentritt, sind wichtige Komponenten beim Umgang mit dem Leid.
Wie viele Menschen
haben Sie in den letzten Monaten bis zum Tod begleitet?
Wir haben in den ersten vier Monaten der Tätigkeit der
Palliativstation circa 100 Patienten auf Station betreut, von denen etwa 40
hier auf der Station gestorben sind.
Das Gespräch mit dem Chefarzt der Palliativstation des
Universitätsklinikums Jena, PD. Dr.
Ulrich Wedding, führte Dr. Stefan Groß.
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