Erschienen in Ausgabe: No 39 (5/2009) | Letzte Änderung: 14.05.09 |
Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Annette Schavan, MdB, anlässlich des Besuchs der Pontifica Universidad Católica de Chile (PUC)am 10. März 2009 in Santiago de Chile
von Annette Schavan
Theologie
gehört im Haus der Wissenschaften zu den Disziplinen, die jenes Wissen
generieren, das weder Naturwissenschaft, Technik oder Ökonomie zur Verfügung
stellen können. Wissen, das den Menschen jenseits einer durch Technik und
Naturwissenschaft geprägten Welt verstehen lässt und Orientierung stiftet.
„Wissenschaft
und Technik, die … nach den Kriterien von Effektivität, Rentabilität und
Funktionalität ausschließlich in den Dienst des Marktes gestellt werden,
schaffen ein neues Verständnis von Realität“[1],
heißt es im Schlussdokument der 5.Generalversammlung des Episkopats von
Lateinamerika und der Karibik. Auf die Fragen aber nach dem Sinn des Lebens,
nach Glück, Leid und Tod, und nach tragenden Werten kann eine technische, auf
Nutzen hin ausgerichtete Welt allein keine Antworten geben.[2] Genau
aus diesem Grund versuchen deshalb – auch in Südamerika – viele Organisationen
der Zivilgesellschaft vermittelt durch die Kirche einen moralischen Konsens
über die Grundwerte aufzubauen. Der Glaube, und der wissenschaftliche Rückhalt
durch die Theologie, geben ihnen dafür das argumentative Fundament.[3]
So imposant die
Erfolgsgeschichten der Technik und der Naturwissenschaften sind, so wenig
können sie die eschatologischen Fragestellungen beantworten beziehungsweise
Orientierung und Sinn stiften. Die Frage etwa, was bestimmte Erkenntnisse der
Hirnforschung für das Selbstverständnis des Menschen als freiheits- und
verantwortungsfähiges Subjekt bedeuten, ist nicht mehr die Frage der
Hirnforschung. Die normativen Grundlagen unserer Kultur werden nicht von der
Technik, den Naturwissenschaften oder der Medizin beantwortet.
Wir müssen
lernen, die Theologie stärker als Lebenswissenschaft zu bewerten. Dieser Ansatz
ist nicht neu. Schon in der Antike standen „ein eher naturwissenschaftlich und
ein eher geisteswissenschaftlich geprägter Zugang zum Leben nebeneinander“[4].
Medizin und Biologie machen konkrete Aussagen über das Leben hinsichtlich
seiner natürlichen und künstlichen Umwelt. Das Leben im Horizont des Lebens an
und für sich betrachten Philosophie und Theologie. „Eine Gesellschaft, die sich
einen der beiden Zugänge sparen würde, wäre plötzlich sehr arm.“[5]
Der Episkopat
von Lateinamerika und der Karibik hat deshalb zu Recht von den Universitäten –
insbesondere wenn es sich um katholische Universitäten handelt – eine Forschung
gefordert, „welche die neuen Entdeckungen der Menschheit in den Dienst der
Menschen und der Gesellschaft stellt; Bildung im Kontext des Glaubens, welche
die Menschen zu vernünftigem und kritischem Urteil fähig macht und sie der
hohen Würde der menschlichen Person bewusst werden lässt; Berufsausbildung,
welche die ethischen Werte und die Bereitschaft zum Dienst an den einzelnen
Menschen und an der Gesellschaft mit einbezieht; Dialog mit der Kultur, der zu
einem besseren Verständnis des Glaubens führt; theologische Forschung, welche
hilft, den Glauben in neuer Sprache auszudrücken.“
Dafür bedarf es
der Theologie im Haus der Wissenschaften, die die Tradition befragt und in ein
Verhältnis setzt zur Modernisierung. Mit den Worten von Papst Benedikt XVI.
gesprochen: Alles „Überlieferte (bedarf) stets neuer und vertiefender
Betrachtung und Reflexion“.[6]
Oder mit
Alexander von Humboldt gesprochen, der die Naturwissenschaften im
19.Jahrhundert weltläufig und im eigentlichen Sinne des Wortes „hoffähig“
gemacht hat: „Alles ist wichtig, was die Grenzen unseres Wissens
erweitert und dem Geist neue Gegenstände der Wahrnehmung oder neue Verhältnisse
zwischen dem Wahrgenommenen darbietet.“[7] Hier
kommt ein umfassender Begriff von Wissenschaft zum Tragen, der keine
Fachdisziplin ausschließt oder bevorzugt.
Die Tradition der europäischen Universität
Die Bedeutung
der Theologie in der Universität wird deutlich, wenn wir einen Blick auf die
Geschichte der Europäischen Universität werfen. Die Institution der Universität
entstand im Europa des 12.Jahrhunderts.
Die ersten
Universitäten bauten auf schon vorhandenen Schulen auf: In Bologna waren es die
von Juristen privat unterhaltenen Rechtsschulen. In Paris entstand die
Universität aus der Kathedralschule von Notre Dame, an der Theologie betrieben
wurde, sowie anderen Bildungsstätten, an denen die Artes, Recht und Medizin
gelehrt wurden. In Montpellier entwickelte sich aus den Medizinschulen eine
Medizinuniversität.
Diese
Schwerpunkte waren eng verbunden mit den „artes
liberales“, die überhaupt erst das Fundament an Bildung für ein höheres
Studium legten. Während sich aber nach dem Vorbild Bologna in Südeuropa die
Universitäten auf eine Fakultät und die notwendigen propädeutischen Fächer
ausrichteten, wurden für die Universitäten der nördlichen Gegenden vier
Fakultäten mit einer Zweiteilung typisch: Sie teilten sich in die niedere
Fakultät der Artes und die höheren der Theologie, Jurisprudenz und Medizin.
Hier entstand eine Dialogkultur über die Grenzen der Fächer hinweg.
Die Universität
als „universitas magistrorum et scholarium“ wurde so zu einer
Bildungseinrichtung, für die es weder an anderen Orten noch vorher
Entsprechungen gab. Schnell erlangten die neu entstandenen Universitäten mit
ihrem „studium generale“ einen Ruf,
der Interessierte aus ganz Europa anzog. Das machte eine gewisse Organisation
erforderlich: Unterbringung und Versorgung mussten genauso gewährleistet
werden, wie Räume für die Lehre. Daneben mussten Standards für Lehre und Prüfungen
festgelegt werden, um die universale Geltung der erworbenen Grade zu
gewährleisten.
In Paris waren
es die Lehrenden, die Zusammenschlüsse und Regelungen festlegten. In Bologna
meldeten sich die Studierenden zu Wort und etablierten Standards. Am Ende stand
die Anerkennung durch eine überregionale Macht. Das Papsttum nahm diese Aufgabe
gerne wahr, nicht zuletzt um damit auch seinen universalen Machtanspruch zu
unterstreichen.
Von Beginn der
Entwicklung an war das Ziel, durch die Einführung philosophischen Denkens in
die Wissenschaft, das Credo zum intellectus fidei, zu einer wissenschaftlichen
Theologie zu führen. Dies geschah im Anschluss an Anselm von Canterbury, der in
seinem Proslogion sein berühmtes Programm „credo ut intelligam“ formulierte. Der
Religionsphilosoph Bernhard Welte hat dies „den ersten und grundlegenden
Schritt der planmäßigen Entwicklung der Theologie als theoretischer
Wissenschaft, damit aber einen der entscheidenden Schritte zur Entbindung der
mittelalterlichen Wissenschaften und ihrer Lebensformen überhaupt“ genannt.[8]
Welte
beschreibt die wohl bedeutendste Zäsur der Universität in Europa um die Wende
des 18. Jahrhunderts herum durch die Auflösung der „großen mittelalterlichen
Lebensformen“. Er schreibt: „Wenn die Universität diesen Einschnitt überhaupt
überleben sollte, so war auf dem alten Grunde eine ideelle und organisatorische
Neubegründung vonnöten.“ Diese Neubegründung war in Deutschland besonders
gekennzeichnet vom deutschen Idealismus. „Von daher kam Rang und Anspruch des
Neuansatzes der Wissenschaft und damit der Universität nach der großen
abendländischen Zäsur.“[9]
Es sind Denker
wie Hegel und Schelling auf evangelischer Seite und der Freiburger Dogmatiker
Franz Anton Staudenmaier auf katholischer Seite, in deren Konzeption die
Theologie ihren Ort im Ganzen der Wissenschaften mit Hilfe der Philosophie
erhielt. Staudenmaier machte deutlich, „dass die Theologie, um Wissenschaft zu
sein, einer ihr immanenten Philosophie bedürfe, nicht freilich, wie er sagte,
zur Produktion des Inhaltes der Theologie, sondern zu deren wissenschaftlicher
Reproduktion.“[10]
Wer den Blick
auf die Geschichte der Universität wirft, muss schließlich an Wilhelm von
Humboldt – den Bruder des großen Naturforschers Alexander von Humboldt –
erinnern. Er hat am Ende des 18. Jahrhunderts die Universitäten, die zu reinen
Lehrstätten geworden waren, zu Stätten der Wissenschaft gemacht. Dazu gehört
die Einheit von Forschung und Lehre ebenso wie die Einheit der Wissenschaft,
wonach jedes Fach im Zusammenhang der gesamten Wissenschaft zu sehen ist.
Für den
Humanisten Humboldt richtete sich das Konzept am Ideal der Bildung aus.
Wissenschaft bildet – das war der Anspruch. Manche finden ihn heute nicht mehr
zeitgemäß, finden, dass diese Idee vergangenen fernen Zeiten angehört.
Angelsächsische Länder haben die Einheit von Forschung und Lehre, die Bildung
durch Wissenschaft für sich als Erfolgsrezept erkannt. Die Universität als
Herzstück des Wissenschaftssystems sollte die Humboldtschen Ideen in das 21.
Jahrhundert transformieren. Das, was in der Tradition „studium generale“ heißt,
muss einen Platz in der Universität haben, wenn der Bildungsauftrag ernst
gemeint ist.
Vernunft und Glaube
Theologie
braucht das gelebte Bekenntnis. Objektivität, Rationalität und die Bedingungen
wissenschaftlicher Reflexionen stehen in einer „Bindung“, in der sich
christlicher Glaube als Botschaft mitteilt. Diese Bindung unterscheidet die
Theologie von der Religionswissenschaft. Sie beschränkt nicht kritische
Reflexion, sie erschließt die Botschaft des christlichen Glaubens. Sie
erschließt damit eine geglaubte Wahrheit über Gott und den Menschen, die vor
Verengungsgeschichten bewahrt.
In dem
bekannten Dialog zwischen dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger und dem
Philosophen Jürgen Habermas fordert der Kardinal „eine Verantwortung der
Wissenschaft um den Menschen als Menschen, und besonders eine Verantwortung der
Philosophie, die Entwicklung der einzelnen Wissenschaften kritisch zu
begleiten, voreilige Schlussfolgerungen und Scheingewissheiten darüber was der
Mensch sei, woher er komme und wozu er existiere, kritisch zu durchleuchten.“[11]
Wissenschaft
als Mit-Tun am Schöpfungswillen Gottes steht in der Verantwortung, dieses
Schöpfungswerk im guten Sinne weiterzuführen. Immer geht es um die Folgen eines
Eingriffs in dieses Schöpfungswerk und um das Heil für den Menschen.
Wissenschaft darf deshalb nicht den handelnden Menschen absolut und unfehlbar
setzen. Wissenschaftler müssen sich ihrer Endlichkeit bewusst sein. Sie
brauchen einen Kompass, der ihnen Orientierung gibt.
So, wie die
Theologie im Verhältnis zu den anderen Wissenschaften den Blick weitet, so gilt
das auch im Verhältnis zur Kirche. So, wie die Theologie der modernen Welt
nützlich sein kann beim Verständnis ihrer selbst, ihrer Herkunft, ihrer
Modernisierungsprozesse und damit verbundener Lebensfragen, so ist sie auch der
Kirche hilfreich. „Die Kirche braucht die Anstrengung des Glaubensdenkens, wenn
sie der Welt jederzeit verantwortlich das Evangelium vermitteln will.“[12]
Die Anstrengung
des Denkens und der kritischen Reflexion bewahrt vor Aberglauben und jener
Versuchung der Instrumentalisierung, der Religion sich zu allen Zeiten auch
ausgesetzt sieht. „Der Glaube braucht das Denken, wenn er sich selbst treu
bleiben will.“[13]
Genau hier liegt
der unschätzbare Wert der Theologie im Haus der Wissenschaft. Das hat der
Theologie im deutschsprachigen Raum zu ihrer internationalen Anerkennung
verholfen, zu den hohen Qualitätsstandards, die im Haus der Wissenschaft
Geltung beanspruchen. Ihre intellektuelle Ausstrahlungskraft hat hier ihren
tiefen Grund. Sie bewahrt den christlichen Glauben vor Vereinnahmung und
Verkürzung, vor sektiererischen Tendenzen und fundamentalistischer
Instrumentalisierung. Sie ermöglicht die aufklärerische Kraft, die der Theologie
zu Eigen ist. In Zeiten, in denen die Religion auf der Bühne der Zeitgeschichte
sich auch bedrohlich, weil vereinnahmt für Gewalt und Terror präsentiert, ist
dieser aufklärerische Impuls nicht hoch genug einzuschätzen.
Wider die Unglückspropheten
Zur Eröffnung
des Zweiten Vatikanischen Konzils im Oktober 1962 sagte Papst Johannes XXIII.:
„In der täglichen Ausübung unseres Hirtenamtes verletzt es uns, wenn wir …
Vorhaltungen von Leuten anhören müssen, die zwar voller Eifer, aber nicht
gerade mit einem sehr großen Sinn für Differenzierung und Takt begabt sind. Sie
nehmen nur Missstände und Fehlentwicklungen zur Kenntnis. Sie sagen, dass
unsere Zeit sich im Vergleich zur Vergangenheit nur zum Schlechteren hin
entwickle. Sie tun so, als ob sie nichts aus der Geschichte gelernt hätten, die
doch eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als ob bei den vorangegangenen
ökumenischen Konzilien Sinn und Geist des Christentums, gelebter Glaube und
eine gerechte Anwendung der Freiheit der Religion sich in allem hätten
durchsetzen können. Wir müssen diesen Unglückspropheten widersprechen, die
immer nur Unheil voraussagen, als ob der Untergang der Welt unmittelbar
bevorstünde.“[14]
Die
Feststellungen des damaligen Papstes, die vor fast 50 Jahren gemacht wurden,
haben von ihrer Gültigkeit nichts eingebüßt. Das Konzil war die Aufforderung an
die Christinnen und Christen, die Welt in ihrer schon damals absehbaren hohen
Veränderungsdynamik nicht als Verfallsgeschichte zu sehen. Wir sollen die
„Zeichen der Zeit im Lichte des Evangeliums“ sehen. Und die Kirche als Ganze
war und ist damit auch aufgerufen, zu erkennen, dass in ihr immer mehr steckt,
als bislang zur Entfaltung kommen konnte. Nie kann nur gelten, was bislang
erkannt und gesagt wird.
Die Versuchung
ist groß, auf die hohe Veränderungsdynamik unserer Tage mit Zukunftspessimismus
zu antworten und auch kirchlicherseits vorwiegend Verfallsgeschichte zu sehen.
Das war im Zweiten Vatikanischen Konzil anders. Da überwog das ernsthafte
Bemühen, sich dem dramatischen Charakter der Zeit zu stellen. Daraus erwuchs
die Aufforderung, den Dialog als Selbstvollzug der Kirche zu begreifen. Die
Kirche muss bereit sein, „den Dialog mit allen Menschen guten Willens … zu
führen. Niemand ist ihrem Herzen fremd, niemand betrachtet sie, als hätte er
mit ihrer Aufgabe nichts zu tun. Niemand ist ihr Feind, der es nicht selbst
sein will. Nicht umsonst nennt sie sich katholisch, nicht vergebens ist sie
beauftragt, in der Welteinheit, Liebe und Friede zu fördern.“ Das schrieb Papst
Paul VI. in seiner ersten Enzyklika im Jahr 1964, die er als Wegweisung am
Beginn seines Pontifikates verstand.[15]
Darin ist die
neue Sicht der Kirche in und mit der Welt aufgegriffen und ein Auftrag
formuliert, der in den folgenden Jahrzehnten einen Prozess der Selbsterneuerung
in Gang setzen sollte. Nichts ist der Kirche fremd. Sie zeigt Bereitschaft,
Geschichte und Gesellschaft als „theologische Orte“ zu erkennen; sie kapselt
sich nicht ab, stabilisiert nicht eigene Strukturen, sondern setzt sich aus,
lässt sich befragen und will sich erneuern.
Diese
Aufforderung hat Aufbruchstimmung in die Katholische Kirche gebracht. Sie
konnte nicht jenen Streit vermeiden, den möglicherweise Karl Rahner meinte,
wenn er von der richtigen Dosierung von Planung und Wagnis sprach. Wo grundsätzlich
anerkannt ist, dass gelebtes Leben auch Quelle für die Weiterentwicklung
kirchlicher Lehre sein kann, da entstehen auch neue Fragen für die theologische
Reflexion im Kontext der Pastoraltheologie. Seither hat eine Ausdifferenzierung
der Theologie stattgefunden, die den Disziplinen der praktischen Theologie eine
wichtige Rolle im Blick auf die Reflexion heutiger Lebenswelten zuspricht.
Die Frage nach
der Autorität der Kirche in den dramatischen Prozessen der Veränderung hängt
auch an ihrer Fähigkeit, ihre interne Dialogfähigkeit weiterzuentwickeln sowie
ihre Bereitschaft zur geschichtlichen Aktualisierung der Kirche Jesu Christi.
Sie muss auch Mut zeigen, jenen Mut zum Wagnis haben, der offen und empfänglich
bleibt für das, was in ihr steckt und bislang noch nicht entfaltet ist. Wo sie
sich dieser Herausforderung verweigert, wird zukünftige Traditionsbildung
schwierig. Die Weiterentwicklung von Tradition ist kaum zu leisten, wo Neues in
Prozesse der Weiterentwicklung nicht aufgenommen wird. Die Fähigkeit zu jenem
Modell der „kirchlichen Intelligenz“, von dem Kardinal Walter Kasper im Blick
auf den Dialog zwischen dem „Text der Welt“ und bisheriger kirchlicher
Entwicklung spricht, ist notwendig.
Die Welt, in
und mit der Kirche lebt, hat ihre Sicherheit in vielerlei Hinsicht verloren und
ist auf der Suche nach Orientierung. Sie ist gleichsam selbst damit
beschäftigt, die „Zeichen der Zeit“ zu deuten, um zukunftsfähige Perspektiven
zu entwickeln. Es ist mehr als angemessen, wenn Kirche sich in solchen Zeiten
auf ihren Auftrag besinnt, missionarische Kirche zu sein.
Wenn wir uns
heute fragen, warum junge Männer und Frauen weniger Interesse an einem
Theologiestudium haben, dann sollten wir auch selbstkritisch fragen, welche
Aufgaben wir ihnen im Kontext der Kirche geben. Theologische Kompetenz in- und
außerhalb der Kirche ist heute nicht weniger bedeutsam als in früheren Zeiten.
Aber machen wir als Kirche, als Volk, Gottes unterwegs, auch genug deutlich,
dass diese Kompetenz bedeutsam ist?
Den Auftrag Gottes verstehen können
In Psalm 8
heißt es: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, / des Menschen Kind, dass
du dich seiner annimmst? / Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, /
hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. / Du hast ihn als Herrscher
eingesetzt über das Werk deiner Hände, / hast ihm alles zu Füßen gelegt.“
In dem
Bewusstsein, dass Gott uns dazu bestimmt hat, verantwortungsvoll mit seinem
Schöpfungswerk umzugehen, liegt es an uns, diesen Auftrag zu erfüllen. Dazu
brauchen wir die Theologie, um diesen Auftrag in seinem ganzen Umfang verstehen
zu können. Um zu erkennen, was wir noch nicht erkannt haben. Um zur Entfaltung
zu bringen, was sich bislang in Kirche und Gesellschaft noch nicht entfalten
konnte. Um die Situationen des Zweifels und der Verzweiflung zu bestehen und
das Unberechenbare und Unsichere akzeptieren zu können.
Dazu braucht es Mahnung und Ermutigung, Neugierde auf das
Neue, das die Zukunft bringt, und Orientierung im Umgang des Menschen mit der
Freiheit und seinem Willen zur Verantwortung und Gestaltung. Und über all dem
steht die Überzeugung, wie sie im zweiten Korintherbrief formuliert ist: „Wo
der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (3,17).
[1] Schlussdokument der 5.Generalversammlung des
Episkopats von Lateinamerika und der Karibik, Nr.45
[2] Franz Kardinal König: Gottesglaube
in einer technisierten Welt. in : Ders.: Haus auf festem Grund,
Wien/München/Berlin 1994, S. 248f.
[3] Oscar Kardinal Rodriguez SDB,
Erzbischof von Tegucigalpa: Die Kirche als Global Player: Lateinamerikanische
Impulse zu einer universalen religiösen Verantwortung der Christen, Studientag
von Adveniat am 17. November 2007
[4] Christoph Markschies: Ist Theologie eine
Lebenswissenschaft? Einige Beobachtungen aus der Antike und ihrer Konsequenzen für
die Gegenwart, Hildesheim/Zürich/New York 2005, S. 34
[5] Christoph Markschies: Ist Theologie
eine Lebenswissenschaft? Einige Beobachtungen aus der Antike und ihrer
Konsequenzen für die Gegenwart, Hildesheim/Zürich/New York 2005, S. 34
[6] Schlussansprache nach
seiner Pilgerreise durch Österreich.
[7] Alexander von Humboldt:
Über die Freiheit des Menschen, S. 41
[8] Bernhard Welte: Die Philosophie in
der Theologie. in: Ders.: Auf der Spur des Ewigen. Freiburg/Basel/Wien 1965. S.
367.
[9] Ebenda S. 367.
[10] Ebenda S. 369.
[11] Joseph Kardinal Ratzinger: Was die
Welt zusammenhält. Vorpolitische moralischen Grundlagen eines freiheitlichen
Staates. in: Jürgen Habermas/Joseph Kardinal Ratzinger: Dialektik der
Säkularisierung. Bonn 2005, S. 41
[12] Karl Kardinal Lehmann: Der „intellectus
fidei“. Den Glauben denkend verantworten. In: Helmut Hoping (Hrsg.): Ebenda. S.
44.
[13] Ebenda. S. 39.
[14] Ansprache Papst Johannes’ XXIII. zur
Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils (11. Oktober 1962), in: Walbert
Bühlmann: Johannes XXIII. Der schmerzliche Weg eines Papstes, Mainz 1996,
S.118
[15] Eccleseam suam, zitiert nach
Herder-Korrespondenz 18 (1963/64). S. 580.
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Professor Dr. Annette Schavan
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