Erschienen in Ausgabe: No. 37 (3/2009) | Letzte Änderung: 05.09.11 |
Der Fall Althaus bewegt in Thüringen die Menschen wie kaum ein anderes politisches Thema. Viele werden Althaus nicht wählen - vor allem jene, die der CDU ohnehin nicht die Stimme gaben. Sie haben skeptische Medien und kühle Argumente auf ihrer Seite.
von Lutz Rathenow
Aber
sie kommen meist aus dem Westen wie der profilierteste politische
Gegner von Althaus, der analytische Kopf und Chef der Linkspartei Bodo
Ramelow. Er sitzt in der emotionalen Althaus-Falle, weil er seinen
Gegner entweder zu zahm oder zu angriffslustig attackieren muss. Wenn
Althaus durchhält, hat er die Wahl gewonnen und wird Nichtwähler vor
allem aus dem ländlichen und kleinstädtischen Raum mobilisieren. (Und
aus dem besteht ganz Thüringen - Erfurt, Gera und Jena ausgenommen.)
Dabei
spielt die DDR-Herkunft und sein ostdeutsch grundiertes
Gegenwartsverhalten auf thüringer Art eine Rolle. Dort denkt man zum
Vergleich an die DDR, die in ihren letzten Jahrzehnten von
sportunfähigen Politikern geführt wurde. Hätte es damals einen
Funktionär nach abfahrtsfähigen Pisten im Ostblock gelüstet, wären sie
menschenfrei gemacht worden. Wäre er dennoch fahrlässig mit jemand
zusammengeprallt, kein Gericht hätte eine Schuldfrage entscheiden
müssen.
Dieses Zurückdenken zeigt einen
Gerechtigkeitsvorsprung für die heutige Gesellschaft. Indem Althaus
jede Schuld akzeptierte und juristisch auf sich nahm, blieb fast keine
zurück. Ist es eine ostdeutsche Komponente, mehr Verständnis für eine
zweite oder dritte Chance aufzubringen? Viele brauchten sie in den
letzten zwanzig Jahren, andere hätten sie gern gehabt.
Althaus
verkörperte bisher den Typ des hyper-aktiven, allseits belastbaren,
sportlichen und omnipotenten Politikers, etwas blässlich zwar, aber 110
Prozent leistungsfähig. So wie sich die Leistungselite im Westen gern
als Vorbild gibt. Die persönliche Lebenskrise von Althaus rückt ihn den
Menschen näher - Adjektive wie tapfer, hartnäckig, nachdenklich,
demütig beschreiben ihn plötzlich.
Dass er nie mehr ganz der
Alte sein wird, sondern als ein anderer in die Politik zurückkehrt,
zeigt eine Wandlungsmöglichkeit in der Kontinuität: Weg vom
nachgeahmten West-Politiker-Muster. Und Althaus führt zusammen mit
seiner Frau glaubhaft vor, wie ihm sein Christsein zusätzlichen Halt
gibt. Das hat etwas Berührendes und Verstörendes in einer Gegend, in
der Christen im allgemeinen und katholische im besonderen die
Minderheit sind.
Natürlich spielte es bisher schon in der
Thüringer Politik eine Rolle, dass Althaus vorwiegend seine alten
Vertrauten aus der katholischen Studentengemeinde mit politischer
Verantwortung versah. Aus der stillen Provokation in säkularisierter
Gegend wird plötzlich eine offene Denkanregung. Sie macht einem
bewusst, dass Althaus doch auf ungewöhnliche Art die Normalität eines
gut integrierten DDR-Bürgers und ein Außenseiterdasein im verflossenen
Staat verkörpert: als personifiziertes Versöhnungsangebot sozusagen.
Und so wenig die Thüringer nun alle in die Kirchen strömen werden, so
darf doch an das Extra-Vertrauen erinnert werden, das gerade die
ostdeutschen Kirchen bei ihrer Rolle am Ende der DDR genossen oder das
sie bei der Bewältigung sozialer Fragen heute noch haben.
Und
es scheinen die Frauen zu sein, die hinter ihm stehen, die wie seine
temporäre Amts-Nachfolgerin und die ehemalige
Bundespräsidentenkandidatin Schipanski und seine mögliche Nachfolgerin
Christine Lieberknecht. Sie alle sehen nicht nur ähnlich aus und
sprechen ähnlich freundlich und erwartungsvoll von ihm - sie hielten
ihm den Rücken von allen parteiinternen Machtkämpfen frei. Man darf an
den Typus der erfolgreichen berufstätigen Frau aus der DDR - hier mit
eigensinnig christlichem Hintergrund - denken, der nun das Comeback von
Althaus bewerkstelligen wird, allen voran seine eigene Frau.
Und so wird sich doch einiges in Thüringen verändern, auch wenn es beim Alten bleibt.
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