Erschienen in Ausgabe: No 39 (5/2009) | Letzte Änderung: 17.05.09 |
Israel gewidmet
von Lisz Hirn
Liest man die täglichen Nachrichten, so könnte man meinen,
dass es nichts als Krieg oder kriegerische Unruhen auf diesem Planeten gibt,
freilich in verschiedener Quantität und Qualität. Als einer der Hauptherde
dieser Unruhen wird generell der Nahe Osten rund um Israel genannt. Da ich zu diesem
Land einen besonderen Bezug habe, möchte ich ihm diesen Artikel Über die
Möglichkeit eines Krieges widmen. Als Hauptreferenz dieser Schrift ist der
Philosoph Jean Baudrillard anzugeben, im Speziellen sein Buch Transparenz des
Bösen. Ein Essay über extreme Phänomene.
Der vorliegende Artikel beschäftigt sich peripher mit dem
Phänomen des Krieges, der, obgleich er in allen Mündern und Köpfen, zwischen
unseren staatlichen Systemen nur mehr rudimentär, zumeist virtuell, vorhanden
ist. Im Speziellen geht es um das Phänomen des Terrorismus,
welches die Unmöglichkeit eines Krieges geradezu vorzeigt. Das, was generell
als Krieg bezeichnet wird, ist keiner. Es wird nur mit dem Phänomen des Krieges
verwechselt. Der Artikel wird im Folgenden über die Ursprüngedieser Verwechslung Aufschluss geben und die vorangestellten
Thesen untermauern.
Was wir heutzutage in jedem gesellschaftlichen Bereich als
Gewalt erleben ist nicht Krieg, nicht archaische Gewaltanwendung, es ist
Terrorismus, also eine gewaltsame Reaktion auf den gesellschaftlichen Bereich.
Was aber ist Terrorismus eigentlich?
Gewöhnlich denkt der durchschnittliche Abendländer an Männer
und Frauen, die sich im Nahen Osten in die Luft sprengen und übersieht dabei, dass
es auch einen Terrorismus mit “weißem” Gesicht gibt, der gerade in den
westlichen Ländern beängstigende Ausmaße erreicht. Die Rede ist hier von Amokläufern, die sich im Radikalsten am
Gesellschaftlichen vergehen.
“Und der Terrorismus, was ist er anderes als eine Form des
gewaltsamen Abreagierens im gesellschaftlichen Bereich? [...]Es handelt sich
nicht um das Wiederaufleben einer atavistischen Gewalt. Archaische Gewalt [L.Hirn:
welche in kriegerischen Auseinandersetzungen ihren Ausdruck findet bzw.
gefunden hat] ist enthusiastischer und zugleich opferbereiter. Die von unserer Hypermoderne hervorgebrachte Gewalt ist der
Terror .”
Von
welcher Form des Terrorismus wir auch des Weiteren sprechen, er lebt von und
durch die hypermoderne Medialität seiner Zeit, von der Omnipräsenz des Bildschirms in allen Bereichen. “Es handelt
sich nicht um einen Zusammenstoß feindlicher Kräfte oder antagonistischer Leidenschaften
[L.Hirn: wie im Krieg], sondern um das Zusammenwirken untätiger und
gleichgültiger Kräfte (zu denen die trägen Fernsehzuschauer gehören). [...] Keine irrationale Episode unseres sozialen
Lebens: es liegt ganz in der Logik seiner Beschleunigung im Leeren
.”
Was passiert, wenn Krieg nicht mehr möglich ist, was
passiert, wenn das staatliche Immunsystem sich nicht mehr bewähren muss,
sondern vollkommener Sterilität ausgesetzt ist? - Die eigenen Antikörper des gesellschaftlichen
Organismus wenden sich gegen ihn selbst; es kommt zu einer genetischen Veränderung der einzelnen Zellen, also zu
Mutationen. Metastasen beginnen in jedem gesellschaftlichen Bereich
unkontrolliert und a-rational zu wuchern: Terrorismus. In welcher Position
steht der Terrorismus zum System?
Der Terrorismus ist systemimmanent und systeminhärent; er
ist eine Mutation der Zellen eines staatlichen Systems, ähnlich einer Krebserkrankung.
Ganz anders der Krieg, der sich als antagonistische Kraft gegenüber einem
staatlichen Systems der Konvention, der “Befriedung”, verhält. Krieg greift den
sozialen Organismus von außen an, Terrorismus von innen, sprich er ist eine
Autoimmunerkrankung des Systems selbst. Im Laufe der Erkrankung versagen nach
und nach die Organe des staatlichen Körpers, die wiederum aus unzählbar vielen
Zellen bestehen. Die Zellen werden nicht mehr von außen angegriffen, sie
greifen sich selbst an. “Seit die Staaten sich nicht mehr gegenseitig angreifen
oder zerstören können, wenden sie sich praktisch automatisch ihrem eigenen Volk
oder Territorium zu, in einer Art Bürgerkrieg des Staates gegen seine eigene
natürliche Referenz (ist es nicht das Schicksal jedes Zeichens, jeder signifikanten
und repräsentativen Instanz, seine natürliche Referenz abzuschaffen?).”
An dieser Stelle möchte ich den Staat Israel als Beispiel
bringen. Dieser „Staat“ ist dem Terrorismus (direkt und indirekt) permanent
ausgesetzt.Israel versucht die terroristische Krankheit mit einer Mauer
zu bekämpfen, das heißt, ein Außen zu schaffen, also etwas, das nicht Israel
ist. Der Pferdefuß ist, dass die Mauer nur ein Außen erscheinen lässt, das es
gar nicht gibt. Das, was außerhalb der Mauer ist, ist in Wirklichkeit eine abgeschnittene Geschwulst. Israel “vergisst“, dass die
Metastasen auch innerhalb der Mauer sind. Diese lassen sich nicht abtrennen.
Sie zu zerschneiden hieße, den Staat selbst zu zerschneiden. Sich durch eine Mauer
abzutrennen, ist ein erster Schritt zur politischen und gesellschaftlichen
Sterilisation. Sie beschleunigt nur das Wuchern der terroristischen Metastasen.
Schließlich zeigt sich Terrorismus nicht nur in Explosionen, sondern auch in
Perversionen und Implosionen im gesellschaftlichen Bereich, zweitere genießen vor allem die
westlichen Länder.
Interessant ist nun die Frage, ob es eine Alternative zum
Terrorismus gibt? - Eine politische Zwei-Staaten-Lösung würde ein Außen
schaffen, also zwei antagonistische Nationen: Israel und Palästina. “Krieg”
wäre plötzlich wieder möglich. Jeder Krieg ist eine Gefahr für den Staat, kann
ihn aber durch die Gefahr auch stärken. Aufgrund der Möglichkeit eines Krieges würde
die gesellschaftliche Mauer hinfällig, da es politische Grenzen gäbe.
Realistisch gesehen stellt sich die Frage, ob es heutzutage
noch eine “Politik” gibt, die dazu befähigt ist, die das Potenzial hat, solche gesellschaftsverändernden
Aktionen wie eine Zwei-Staaten-Lösung einzuleiten. Den meisten, wenn nicht
allen, staatlichen Systemen gemeinsam ist die Absenz von politischer
Originalität wie sie Baudrillard diagnostiziert:“Angesichts des Fehlens einer
originellen politischen Strategie (die vielleicht nicht mehr möglich ist),
angesichts der Unmöglichkeit einer vernünftigen Verwaltung des Sozialen
desozialisiert sich der Staat. Er setzt nicht mehr auf politische
Willensbildung, er setzt auf Erpressung, Abschreckung, Simulation, Provokation
und spektakuläre Sensation .” Die Konsistenz der
Hypermoderne ist darauf abgestimmt. Die Frage ist nur, was zuerst da war: Der
Bildschirm oder die Sensation? Und was kann für den Zuschauer mehr
Sensation sein als ein unberechenbarer, terroristischer Akt? “Überall begegnet
man einer endlosen Verzerrung der gegenwärtigen Formen des Bösen. In einer Gesellschaft,
die aufgrund ihrer Prophylaxe und der Abtötung ihrer natürlichen Referenzen,
des Weißwaschens der Gewalt und der Ausrottung aller Keime und aller verfemten Teile und der
Schönheitsoperation des Negativen nunmehr mit berechnender Verwaltung und dem
Diskurs des Guten zu tun haben will, in einer Gesellschaft, wo es keine Möglichkeit
mehr gibt, das Böse auszusprechen, hat es sich in all die uns heimsuchenden viralen und terroristischen Formen verwandelt .” Die sterile Befriedung des Systems, im Fall Israels durch seine
Mauer und die darin eingeschlossene religiöse Identität, endet in der
Zersetzung des Systems und einer Banalität des Friedens, da das Prinzip des
Friedens nur durch sein antagonistisches Prinzip erfahren werden kann. Dieses
antagonistische Prinzip ist, wie schon erläutert, das Prinzip des Krieges.
Fazit und Nachbemerkung: Erst wenn man die Bedingungen, die Möglichkeit
eines Krieges geschaffen hat, kann man auch die eines Friedens schaffen - sie
bedingen einander. Dies ist keine Belobigung oder Beweihräucherung des “Krieges”
als Mittel zum Zweck “Frieden”. Dieser Artikel nähert sich dem Thema “jenseits von Gut und Böse”
und jenseits von moralischer “Schwarz-Weiß-Malerei”. Wie könnte man auch? Ich
bin mir nicht einmal sicher, ob ich weiß, was der Begriff “Krieg” überhaupt bedeutet,
geschweige den “Frieden“. Die Erfahrung zeigt, dass dem Terrorismus, das gilt
vor allem für die israelische Problematik, weder mit konstruierten Kriegen noch
mit militärischen Maßnahmen beizukommen ist. Man verordnet die falsche Medikation,
da der Feind nicht von außen kommt, wie es bei einem “Krieg“ der Fall ist;
Terrorismus entsteht im Inneren des gesellschaftlichen Organismus, welcher das
Prinzip des Bösen mit aller nur möglichen Sterilität zu annihilieren versucht
hat. Lapidar und ohne Faxen ausgedrückt: Sterilisation ist Selbstdestruktion.
Man fragt sich, wann Israel dies erkennen wird oder ob Israel dies schon längst
erkannt hat.
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