Erschienen in Ausgabe: No 40 (6/2009) | Letzte Änderung: 21.11.13 |
Richard David Precht, Liebe, Ein unordentliches Gefühl, Goldmann-Verlag, München 2009, 397 Seiten, ISBN: 978-3-442-31184-2
von Dörte Fehling
Lieber Herr Precht,
in Ihrem neuen Buch „ Liebe – ein
unordentliches Gefühl widmen sie sich genau 363 Seiten dem Thema Liebe, um, so
erwartet es zumindest der aufgeschlossene Leser, eine philosophische, teils wissenschaftliche
fundierte Erklärung dieses seit Jahrtausenden beständigen Gefühls zu
generieren. Mal davon abgesehen, daß dieses Unterfangen bereits dem einfachen
Durchschnittsgemüt ehe unmöglich erscheint, allein das Wort „Liebe“ schon für
Furore sorgt, bin ich leider nach Beendigung des Werkes genauso schlau wie
vorher: Das Ende besteht aus ein paar profanen Vorschlägen, wie „schenken Sie
Ihrem Partner mehr Anerkennung, versichern Sie ihm öfter Liebe, gehen Sie beim
Streit nicht unter die Gürtellinie, variieren Sie hin und wieder die Stellung,
hüten Sie sich vor Pauschalangriffen…“
Also nach 363 Seiten dieselbe
Konklusion wie in einem knapp gehaltenen Artikel in einer kommerziellen
Frauenzeitschrift! Mit dem kleinen Unterschied, daß ich in letzterer auch nicht
mehr erwarte, als von jemanden, der derzeit als moderner Vorzeigephilosoph
durch die Presse gereicht wird. Vielleicht haben Sie aber auch nur den Bogen
raus, wie man den Leser mehr oder weniger unterhalten, seitenlang mit populistischen, aufsehenserregenden Autoren
wie Dawkins und Fromm bei Laune hält, quasi abgelenkt von den eigenen
ursprünglichen Erwartungen. Vielleicht sind wir doch alle zu neugierig, unsere Erfahrungen mit dem Thema Liebe endlich mal
wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, um dann gewappnet mit neuem Wissen und
gefeit vor Fehlern, diesem Gefühl die überfällige Ordnung beizubringen, koste
es, was es wolle.
Zu Beginn Ihrer Einleitung legen
Sie die Meßlatte hoch, indem Sie festhalten: „Denn die geschlechtliche Liebe
ist hochverdächtig; als ein Sujet nämlich, an dem sich zwar die besten Dichter,
aber nur selten die klügsten Philosophen versucht haben.“ Für meine Begriffe
hätten Sie auf letztere hören sollen, denn auch Sie machen sich bei Ihren mehr
oder weniger beeindruckten Berufskollegen wahrscheinlich auch eher verdächtig als
profiliert. Sie selbst sagen, heutzutage sei es Aufgabe der Philosophie,
bestimmte Zusammenhänge plausibel darzustellen. Nicht ganz verständlich ist mir
dabei Ihre Methode, wenn Sie dafür den Hauptteil Ihres Buches Biologen,
Psychologen, Soziologen und Verhaltensforschern widmen. In derPhilosophie - wörtlich ‘Liebe zur Weisheit’- wird versucht, die Welt und
die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen. Von den anderen Wissenschaften
unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich nicht auf ein spezielles Gebiet
oder eine bestimmte Methodologie begrenzt, sondern durch die Art ihrer
Fragestellungen und ihre besondere Herangehensweise an ihre vielfältigen Gegenstandsbereiche
charakterisiert ist. Viele Menschen betreiben Philosophie, und dazu gehören
vielleicht auch Sie,um ihrer selbst
willen: um sich selbst und die Welt, in der sie leben, besser zu verstehen; um
ihr Handeln, ihr Weltbild auf eine gut
begründete Basis zu stellen. Wer jedoch ernsthaft philosophiert, stellt
kritische Fragen an die ihn umgebende Welt und lässt sich in der Regel nicht so
leicht täuschen oder manipulieren. Das konstruktive Potential der Philosophie
liegt im Hinterfragen der gesellschaftlichen Verhältnisse und im Herausarbeiten
alternativer Modelle ebenso wie in einer Relativierung der Ansprüche von
Wissenschaften und Religionen. Ein selbstbestimmtes und vernunftbasiertes Leben
auf der Grundlage eigenen Nachdenkens ist das Ziel vieler Philosophen und sie
zeichnen sich nicht nur dadurch aus, daß sie in der Regel mehr wissen als
andere, also durch Quantität, wie sie es in Ihren Büchern versuchen, sondern
daß sie Zusammenhänge besser erkennen und einen besseren Überblick bezüglich
gewisser Argumente und Positionen zu bestimmten Themen haben und einnehmen
können, also durch Tiefe in der Argumentation. Das gilt auch für das Thema Liebe,
die Frage bleibt aber, ob die Hinzunahme aller Wissenschaftsgebiete als
Erlärungsversuch, wirklich Licht ins Dunkel bringt und Sie sich nicht zu weit
von Ihrer Position als Philosoph wegbewegen. Zumindest wenn sich der Rezipient
in den auf die Einleitung folgenden 250 Seiten mit Themen wie „Betuchte Würger,
standhafte Kröten“, „Ich sehe was, was du nicht siehst“ und „ Mein Zwischenhirn
& Ich“ auseinandersetzen muß. Für mich persönlich tritt hier die philosophische
Methode zugunsten einer Abarbeitung an einer breiten, populärwissenschaftlichen
Themenwelt, wahrscheinlich mit dem Ziel der üppigen Wissensvermittlung an eine
große Population, in den Hintergrund. Die Philosophie unterscheidet sich ja
dadurch von anderen Wissenschaften, dass sie auf eine detaillierte Überprüfung
ihrer theoretischen Schlussfolgerungen durch Beobachtungen verzichtet, dass man
immer wieder auf Gedanken zurückgreifen muss, die bisher noch nicht überprüft
werden konnten und für die auch noch keine Überprüfungsmöglichkeit denkbar scheint.
Bereits nach dem ersten Kapitel über menschliche Zoologie, wird einem klar,
dass Ihr Ansatz für eine Erklärung von Liebe kein philosophischer ist, sondern
maximal ein wissenschaftlicher, wobei die Ausschweifungen in die Steinzeit für
mein Verständnis überflüssig und die Genmystik als Begründung im Zusammenhang
mit Liebe eher befremdlich sind. Gegen Ihre Methode ist vielleicht für den ein
oder anderen Leser im Grunde nichts einzuwenden, ist es doch an sich
begrüßenswert, wenn philosophische Thesen und Theorien auch interdisziplinär
betrachtet und einer großen Leserschaft zugänglich gemacht werden. Allerdings
geht mir persönlich bei dieser Breite die Tiefe vollends verloren, viele alte
und neue wichtige Theorien kommen zu kurz. Leider erfährt man bis zum Schluß
nur wenig über die Diskussionen in der zeitgenössischen Philosophie, wo
Theorien der Liebe und Gefühle derzeit ebenfalls Konjunktur haben. Fazit bleibt
für mich: Der Leser von „Liebe - Ein unordentliches Gefühl“ wird auf leichte
Weise unterhalten, vielleicht auch zum Nachdenken angeregt, wobei die Reise
eben diesmal keine philosophische, sondern ein für jedermann verständliche,
populär- wissenschaftliche ist.
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