Erschienen in Ausgabe: No 40 (6/2009) | Letzte Änderung: 25.05.09 |
Die Hälfte der ersten hundert Tage hat die neue USA-Regierung bereits hinter sich, doch die islamische Welt wartet noch auf den versprochenen »Wechsel«.
von Christoph R. Hörstel
Nach ihrem
spektakulären Wahlkampf zeigte sich die US-amerikanische Außenministerin
Hillary Clinton jetzt bei ihrem Israel-Besuch vergleichsweise nachgiebig mit
dem kommenden Regierungschef Benjamin Netanyahu. Während Bulldozer in
Ost-Jerusalem 80 Palästinenser-Häuser planierten und im Westjordanland 170
frische Siedlerhäuser entstanden, sprach sich die Führungsfigur der sich
abzeichnenden neuen israelischen Rechtsfront undiplomatisch klar gegen die noch
unter Präsident Bush angestrebte Zwei-Staaten-Lösung in Palästina aus. Und auch
gegen weitere Friedensgespräche mit Palästinensern, gleich welcher Couleur.
Dabei fordert Hillary Clintons Begleiter, der Nahost-Sondergesandte George
Mitchell, seit Jahren ein Ende jeglicher israelischer Neubauten im Palästinensergebiet.
Derweil liegen 900 Millionen Dollar für den geschundenen Gaza-Streifen auf Eis,
weil die USA-Regierung derzeit noch immer studiert, wie sie das Geld an der
2006 demokratisch gewählten Hamas-Regierung vorbeileiten kann.
Auch in Afghanistan
ist von »Wandel« nichts zu spüren. Westliche Medien berichten zwar über
liberale Politikversprechen der Taliban durch deren ehemaligen Finanzminister
Mullah Mutassim Agha Jan. Sie berichten jedoch nicht, dass er Mitglied der
Talibanführung und offiziell ernannter außenpolitischer Unterhändler ist. Die
USA senden statt deutlich mehr und effizienterer Entwicklungshilfe vor allem
mehr Truppen an den Hindukusch – 17 000 Mann, für 60 Millionen Dollar pro Tag.
Dies soll angeblich die Wahlen im August absichern. Doch in diesem einen Monat
können die Taliban wegen der Ferien an Pakistans Religionsschulen 50 000
Kämpfer mehr einsetzen als sonst. Vergeblich forderte Präsident Hamid Karsai
deshalb Wahlen bereits im April.
Der führende
US-General in Afghanistan, David McKiernan, verstößt unterdessen gegen das
Handbuch zur Aufstandsbekämpfung von Centcom-Chef General David Petraeus. Das
Werk verlangt, Aufständischen jegliche Rückzugsmöglichkeiten zu verwehren und
die Grenzen des Gastlandes zu sichern. Beides gelingt nicht, dank Pakistan, das
selbst hilflos bleibt gegenüber fremden und eigenen Taliban und spektakulären
Anschlägen islamischer Kampfgruppen mit Verbindungen zum pakistanischen
Militärgeheimdienst ISI. Die USA geben inzwischen offen zu, dass sie ihre
ferngelenkten Drohnen für Luftangriffe auf Ziele in Pakistan
vereinbarungswidrig von pakistanischem Boden aus starten. Zum Erstaunen vieler
Beobachter haben die USA den lokalen Friedensschluss mit den Taliban im
Swat-Distrikt ausdrücklich unterstützt. 2006 gab es in Nordwaziristan ein
ähnliches Abkommen, heute treiben auch dort die USA mit ihren Feuerüberfällen
die Bewohner in die Arme der Aufständischen.
In Irak wollen die
USA mit etwa 50 000 Mann die sogenannte Grüne Zone in Bagdad besetzt halten.
Dort haben nicht nur die wichtigsten US-Einrichtungen ihren Sitz, sondern auch
Iraks Parlament und die Regierung. Völlig ungeklärt ist überdies der Abzug
zigtausender privater Söldner aus dem Zweistromland.
Nachbar Iran fragt
sich weiterhin, welches konkrete Angebot Obama in seiner »ausgestreckten Hand«
hält. Der Vorsitzende des sicherheits- und außenpolitischen
Parlamentsausschusses Irans, Alaedin Brojerdi, bekräftigte am Freitag in
Berlin, Iran sei dafür offen, auch angesichts der Über- und Eingriffe der USA
gegen Iran in den vergangenen 60 Jahren. Zur Atomfrage erklärte Brojerdi, man
habe die Internationale Atomenergiekommission in Wien gebeten, alle vorhandenen
Fragen zu stellen, und diese seien zufriedenstellend beantwortet worden.
Weitere Fragen seien nur eine »absurde Endlos-Spirale«. Irans erstes
Atomkraftwerk gehe »hoffentlich bald« in Betrieb, die Brennstäbe seien
geliefert. Humanitäre Hilfstransporte für Afghanistan über Iran seien möglich,
Lieferungen militärischen Nachschubs nicht. Iran wünsche den NATO-Abzug aus
Afghanistan.
Brojerdi hielt sich
auf Einladung des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestags in Deutschland
auf. Dabei wurden technische und weitere geheimdienstliche Zusammenarbeit
»gegen Terror und Drogen« in Afghanistan vereinbart, dafür soll deutsche
Technologie geliefert werden. Deutschland bemühe sich um Verbesserung der
Wirtschaftsbeziehungen, insgesamt bewertete Brojerdi die bilaterale Lage
positiv.
Doch US-gestützte
Angriffe irakischer Kurden und Attacken westlicher Spezialkommandos gehen
weiter, ebenso die unter Bush stark ausgeweiteten Geheimdienst-Aktivitäten.
Im Moment sieht es
für viele Muslime so aus, als müssten erst die USA ihre geballte Faust öffnen,
bevor die Beziehungen vorankommen.
Christoph R. Hörstel hat als Journalist und Politikberater seit vielen
Jahren Kontakte in die Region. Von ihm erschienen 2007 bei Droemer/Knaur
»Sprengsatz Afghanistan« und 2008 im Kai Homilius Verlag »Brandherd Pakistan«.
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