Erschienen in Ausgabe: No 40 (6/2009) | Letzte Änderung: 25.05.09 |
Christian Meier, Kultur, um der Freiheit Willen, Griechische Anfänge - Anfang Europas? Siedler Verlag, München (Januar 2009),368 Seiten, Gebunden,ISBN-10: 3886809234, ISBN-13: 978-3886809233, Preis: 22,95 EURO
von Heike Geilen
"Menschen, die im
höchsten Sinne Menschen sind" nannte der römische Senator Plinius um
100 n. Chr. die Griechen. War es "dieses
merkwürdige, dieses exotische Volk", das das heutige Europa
hervorbrachte? Ein Volk, "das eine
Kultur bildete, die so anders war als all die andern großartigen Hochkulturen,
die vor und neben ihm in der Weltgeschichte entstanden sind"? Denn es
erreichte dies ohne den Motor Herrschaft, sondern einzig ihre Freiheit oder
besser ein breiter Kreis von Freien in vielen Städten. Vielleicht ist es
dadurch zu erklären, dass Europa verglichen mit anderen Kulturen der Welt einen
Sonderweg eingeschlagen und über weite Strecken zurückgelegt hat, dass "auf diesem Erdteil nach und nach
ungeheuerliche Möglichkeiten freigelegt worden sind, eine Kapazität
sondergleichen des Handelns, Erkennens, Gestaltens, des Aufgreifens und
Veränderns sich erschloß."
Christian Meier, emeritierter Professor für Alte Geschichte
und einer der bekanntesten Historiker Deutschlands legt im Rahmen einer
mehrbändig erscheinenden Reihe über die Geschichte Europas ("Die alte
Welt") seine ersten beiden Kapitel vor, die sich der Vor- bzw.
Frühgeschichte der Griechen und ihrem möglichen Einfluss auf die Bildung
Europas widmen.
Schon Hegel sprach vom europäischen Geist, der "in Griechenland seine Jugend zugebracht"
hat. Meier versucht gleichfalls die Anfänge Europas in den Ägäisraum zu
implizieren.
Gerade heute beleben sich Diskussionen über das Werden und
die Eigenart Europas und ganz speziell sein Verhältnis zum Orient. Da lohnt es
sich, einen tieferen Blick auf die Entstehung von Kulturen zu werfen, sich
einen Zutritt zu ihnen zu verschaffen. Denn "unüberschaubar vieles schiebt sich in der Geschichte mannigfaltig sich
verflechtend, sich verschlingend und kaum faßbar voran; schleppt Dinge mit
sich, von denen keiner mehr weiß, die irgendwann aber zum Vorschein kommen, ja
unter Umständen kräftig sich zur Geltung bringen können...", schreibt
Meier.
Wo fängt Europa
überhaupt an?
"Wo fängt
überhaupt etwas an? Nichts ist ohne Vorbereitungen, Vorläufer,
Vorauszusetzendes. Nie gibt es ein Stunde Null. Überall trifft man, je mehr man
schürft, unter vermeintlichen Anfängen tiefere Anfangsgründe, die ihrerseits
vor dem forschenden Blick leicht immer wieder und weiter ins Bodenlose
zurückzuweichen scheinen." Einen klaren Schnitt kann und will auch
Christian Meier nicht machen. Eines ist jedoch klar: Dass Europa als Erdteil
verstanden wird, hat keine geografischen, sondern historische Gründe. Und eben
die Griechen waren es wohl, die den Namen und vor allem die Aufteilung der Erde
in Erdteile geprägt haben. Griechische Lebensart, Feste, Sport, Theater,
Philosophie und Wissenschaft verbreiteten sich bis weit in den Osten hinein und
sind auch heute noch allerorts spürbar. Bei "den Griechen fing das Neue an, und in der Symbiose, zu der die
verschiedenen Elemente zusammenwuchsen, sind die griechischen auch weiterhin
von entscheidender Bedeutung", schreibt der Autor.
Entstanden ist ein spannendes Buch, das einem breiten Leserkreis
verständlich und interessant und ohne irgendetwas Wesentliches auszulassen oder
ungebührlich zu vereinfachen, die Geschichte der Griechen und ihren
wahrscheinlich erheblichen Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung Europas
erzählt.
Christian Meier hat den schwierigen Parcours der
Geschichtsschreibung, den der deutsche Althistoriker Alfred Heuß einmal
treffend formulierte, meisterlich bewältigt: "Wie bei einem Bild müssen auch hier mannigfache Teile in Beziehung
zueinander gesetzt werden. Das ist ein eigenständiges Unternehmen, denn allein
von den einzelnen Teilen aus der beschränkten Auskunft, die sie über sich
geben, ist es niemals durchzuführen. Die historische Synthesis ist deshalb eine
besondere Leistung, eine konstruktive Leistung."
Und eben diese Komplexität, dieses Verzahnen aller Kapitel,
das beziehungsreiche Ineinandergreifen und Analysieren Meiers erklärt für den
Leser letztendlich selbstredend, warum das Volk der Griechen so frei sein und
bleiben konnte und Europas Anfänge durchaus bei ihnen zu suchen sind.
Frei von Fachtermini und wissenschaftlichem Jargon, aber
trotzdem äußerst tiefgreifend, substantiell und fundiert berichtet Meier von
dieser einzigartigen Kultur. Er ist nicht versucht, Begründungen für seine
Darstellung ausufern zu lassen, sondern beschränkt sich darauf, die eigene
Argumentation nur leicht anzudeuten. "Das
Bestreben, die fernen, fremden Gegenstände heutigen Lesern nahezubringen (ohne
ihre Fremdheit zu vertuschen), der Wunsch, sie vorstellbar, verstehbar zu
machen in der Alltagssprache" ist ihm aufs Vortrefflichste gelungen.
Manche seiner Aussagen sind sicherlich gewagt, doch stets
markiert er einen vermutenden Charakter und wird durch diese genau bezeichneten
Ungenauigkeiten der Forderung nach Genauigkeit am ehesten gerecht.
Fazit:
Die Entstehung und Geschichte Europas ist unzweifelhaft mit
dem antiken Griechenland verbunden, wenn sie nicht gar ihren Ursprung in der
Ägäis hat. Christian Meier versucht die Fragen nach dem Anfang zu klären.
Gleichzeitig zeigt er auf, "wie es
zu den Griechen kam, wie diese höchst ausnahmsartige, so ungemein stark und
breit nachwirkende Kultur zustande kommen, sich tragen, sich behaupten konnte
und wie sie beschaffen war."
"Kultur, um der Freiheit Willen" offenbart eine
äußerst interessante, fundierte und glänzend geschriebene Kulturgeschichte aus
der Feder des 80jährigen Althistorikers Christian Meier.
"Wir werden das
Altertum nie mehr los, solange wir nicht wieder Barbaren werden."
(Jacob Burckhardt, Schweizer Kulturhistoriker)
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