Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 30.08.11 |
von Lutz Rathenow
Fotografien sind Fingerabdrücke einer Gegenwart, die
für einen Moment erstarrt und im Augenblicke des Betrachtens schon zur
Vergangenheit geworden ist. Und künftig werden diese Bilder als ein
Echo des Vergangenen im Moment des Betrachtet-Werdens in die Zukunft
gefunkt. Vor reichlich zwei Jahren hatte der aus Radebeul stammende
Berliner Fotograf Harald Hauswald eine furiose Ausstellung im medialen
Zentrum Thüringens: Jena. Was, fragen Sie, soll es dort geben – außer
den beiden Lokalredaktionen der ortsansässigen Zeitungen? Als kleiner
Werbespott dazwischen die Titel der nicht zu Werbezwecken herausgegeben
oder verteilten Periodika aus Jena: Akrützel, Unique, Palmbaum,
Gerbergasse 18, Tabula Rasa (Internet-Zeitschrift), Notausgang. Wer die
nicht kennt, hat von Thüringer Publizistik keine Ahnung. Und mit der
Ahnung ist es ja so eine Sache, sie stellt das vermutete Wissen dar,
manchmal nur das erhoffte. Und die Bilder aus der Vergangenheit treten
mit denen aus der Gegenwart in eine Konkurrenz – und vielleicht noch
mehr mit denen einer erhofften und vor sich selbst und anderen
verteidigten erinnerten Vergangenheit. Und es entsteht gerade über
Bilder aus der DDR leicht ein Streit, der immer ein Streit über die
Erinnerungen und die Gefühle beim Betrachten der Bilder ist. Vor zwei
Jahren erlebten Hauswald und ich, der Ausstellungs-Begleiter und
Beobachter des Phänomens DDR-Fotografie – erstaunliches schon beim
Aufbau. Hunderte betrachteten die Bilder, bevor die Ausstellung
überhaupt eröffnet war und geizten nicht mit ersten Hinweisen In den
Tagen danach Tausende Besucher, die sich Bild für Bild anschauten,
allein und schweigend oder mit Begleitern sofort in Diskussionen
übergehend. Jüngere Besucher blickten neugierig bis amüsiert, je älter
die Betrachter waren, desto skeptischer geriet der Blick, desto mehr
Betrachter-Vergleichs-Erwartungen an das eigene Leben mussten die
Bilder aushalten. Und die Meinung en im Gästebuch prasselten munter und
auf das Heftigste aufeinander ein. Das verdiente Lob, deshalb wollte
Harald Hauswald unbedingt nach Jena zurückkommen, wo plötzlich mitten
im Einkaufstrubel über das Leben gestritten wurde.
Die Fotos
gerieten durch die Augen der Betrachter zu Brücken, auf denen sich
verschiedene Erfahrungswelten begegneten. Es wurden während der
Ausstellung Stühle rings um den Besuchertisch aufgestellt und jeder
konnte stressfreier reagieren und sich bei Bedarf abreagieren. Eine
Diskussion zwischen Analyse, Selbst-Theapie und sich konservierender
Empörung, die entschlossen ist bis zum persönlichen Ende in jener
EWIGEN DDR leben zu bleiben, die wir provokativ im Ausstellungstitel
behauptet hatten. Geschichte ist aber nicht die Fläche, zu der sie
manche zu machen versuchen (vielleicht noch als Plakat vorzeigbar),
sondern ein Raum, in dem lauter Räume nebeneinander andere Erlebnis-
und Handlungswelten bedeuteten. Dennoch war und ist nie alles gleich
und gleichartig und damit auch nicht gleichwertig. Und schwarz/ weiße
–Fotos zeigen keine graue Welt, sondern in ihrer Verfremdung zur normal
farbig wahrgenommenen betonen sie Nuancen und Differenzen. Fotos haben
wohl das Privileg von Fußball: eine Art von Kunst zu sein, die mitten
ins Leben rutschte und die fast jeder zu machen können glaubt oder bei
der er wenigstens mitreden will. Insofern blühen im Jahr Zwanzig des
Mauerfalls noch einmal die Bildbände aus den Zeiten davor richtig auf –
jetzt kommen auch all die heraus, die in dem Staat a.d. nicht zum
offiziellen Bild werden durften. Dem widerspricht nicht, das es in der
Kunst-Fotografie der DDR eine glanzvolle und gar nicht beschönigende
Schwarz-Weiß-Fotokultur gab – so steht auch ein Harald Hauswald für
eine gute DDR-Tradition und gleichzeitig für ihre konspirative und
westöffentliche freche Erweiterung und oppositionelle Infragestellung.
Er kommt nun an diesen lichthaltigen Ort zurück und zeigt neue und neue
alte Fotos und wir diskutierten lange über den Titel der Ausstellung.
Alle gerieten zu angestrengt für die fotografische Kette von
Alltäglichkeiten und Absurditäten, die auf den Betrachter wartet. Ihn
auf eine Zeitreise mitnimmt in eine Gegenwart. „Bewegungen - von Ost
nach OstWest. Fotos aus vier Jahrzehnten“ heisst die Ausstellung nun,
denn unser Westen ist ja nicht mehr der Westen wie er es früher war.
Die in unterschiedlichen Größen reproduzierten Fotos von Hauswald
führen reale Vergangenheiten als irreale vor und lassen jede Gegenwart
schon als künftige Vergangenheit aufleuchten.
Unterm Fernsehturm
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