Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 30.08.11 |
von Lutz Rathenow
Europa besteht aus
mehreren gefühlten Europas. Da ist das saturierte Westeuropa, das
keiner so richtig mag, was auch daran zu merken ist, das es beim
europäischen Song-Wettbewerb kaum noch Stimmen bekommt. In dem aber ein
ordentlicher und teurer Fußball gespielt wird und das sich regelmäßig
darüber ärgert, eigentlich viel zu viel nach Europa einzuzahlen.
Dann
gibt es das vielfältig verstreute nicht so saturierte West-Europa, das
wie Irland oder Portugal und Spanien kräftig gefördert wurde und
skeptisch bis ablehnend auf jede Verän-derung reagiert, weil mit der ja
neue Regularien für die Förderung kommen werden.
Vielleicht ist
nur Luxemburg wirklich glücklich mit dem Europa, was vorhanden ist, der
Kleinstaat sozusagen als Kerneuropa. Sein Ministerpräsident sagt ja
auch immer die europafreundlichsten und klügsten Sätze. Vielleicht
sollte er auf Dauer den europäischen Vorsitz erhalten? Ganz kleine
Staaten wissen halt zu schätzen, das sie nicht zu früh auf
Landesgrenzen stoßen.
Europa ist ein großes Missverständnis,
an dem viele mitstricken. Erst wenn der Allmachts-glaube an den alles
regulierenden Staat, die alle Fragen durch Befehl klärende Partei oder
den durch seinen Willen allen alles diktierende Führer völlig
überwunden sind, wird Europa als
Überbegriff für halbwegs
gleichberechtigte Teile verschieden schöner und wirtschaftlich
unterschiedlich potenter Zonen funktionieren – ohne zu große
Unterschiede, ohne als Bedrohung gefühlte Gemeinsamkeiten. Diese
Erneuerung geht von Osteuropa aus, das bei allen Egoismen doch weiß,
was es an einem westlich dominierten Europa hat. Bei allem Streit und
bei aller Skepsis ist die Integration der osteuropäischen Staaten die
größte friedens-fördernde Maßnahme Europas seit Menschengedenken. Die
ostdeutschen Erfahrungen könnten diese Integration noch mehr
inspirieren, wenn sie nicht nur als ostdeutsche sondern als
osteuropäische Erfahrungen entziffert würden.
Die EU ist nicht
nur weiter nach Osten gerückt, dieses neue Ost-West-Europa im Westen
weiß, das noch ein großes Stück Europa vor seinen EU-Toren liegt. Die
privilegierte Partnerschaft für Weissrussland, Georgien, die Ukraine?
Oder doch eine Mitgliedschaft?
Darf Europa weit vor Europas
Grenzen enden? Auch hier werden die ostdeutschen Sondererfahrungen mit
den Russen und ihren politischen Mentalitäten hilfreich sein. Der
friedliche Wettstreit um die Akzeptanz der Europa-Idee in Russland wird
in der Exklave Kaliningrad ausgetragen. Mitten in unserem EU-Europa
liegt ja ein Stück Russland. Was diese mögliche künftige Sonderzone mit
russischer Bevölkerung von der Marktwirtschaft hat, wie sie diese
erlebt, wird die Lust an oder den Frust auf Europa im übrigen Russland
entscheidend prägen.
Lutz Rathenow und Harald Hauswald
(Fotograf) befassen sich in ihren Büchern „Ostberlin“ und „Gewendet –
vor und nach dem Mauerfall“ (beide Jaron) auch mit europäischen Fragen.
Beide
stehen zur Abschlussdiskussion am
20.6. (15.00 Uhr) auch zu solchen Fragen Rede und Antwort. Ort: Jena,
Einkaufszentrum Goethe-Galerie.
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