Erschienen in Ausgabe: No 41 (7/2009) | Letzte Änderung: 21.03.10 |
von Stefan Groß
2006
legte der belgische Journalist Freddy Derwahl eine Doppelbiographie
vor, die 2008 unter dem Titel Benedikt XVI. und Hans Küng,
Geschichte einer Freundschaft erneut bei Knaur erschienen ist.
Derwahl geht es nicht bloß um Biographisches, sondern um eine
spannungsreiche Kontroverse, um das Ineinanderverzahntsein der
Lebenswege von Joseph Ratzinger und Hans Küng. Beide Denker haben
den akademisch-theologischen Diskurs der letzten fünfzig Jahre
maßgeblich mitbestimmt, zusammen, auf unterschiedliche Weise,
jüngste Kirchengeschichte geschrieben.
Mit den Vorurteilen vom „Panzergeneral“, „Großinquisitor“
und orthodoxen Hartliner Ratzinger, an denen sein ehemaliger
Weggefährte Küng nicht unbeteiligt war, räumt Derwahl schnell auf.
Das Ressentiment stellt er auf die Seite Küngs, der nach dem Entzug
der Venia Legendi, die Konfrontation mit seinem akademischen Rivalen
suchte, oft aufbrausend und nicht immer argumentativ überzeugend.
Benedikt XVI. kommt als der hadernde Denker in den Blick, als ein von
Selbstzweifeln geplagter, immer wieder Stille und Einkehr suchend.
Der ehemalige Kardinal der Heiligen Inquisition, der sich zu seinen
geistigen Urvätern Augustinus und Bonaventura bekennt, ist auch als
Papst der leise Arbeiter im Weinberg des Herrn geblieben, der einsame
Wanderer von Fürstenried.
Küng hingegen war der frenetisch gefeierte Konzilstheologe. Er
machte schnell akademische Karriere, führte und führt die
Bestsellerlisten an, ist rhetorisch gewandt und disputiert stets
elegant. Für eine ganze Generation wurde er zur Leitfigur, denn er
sprach aus, was viele Gläubige dachten. Er trat als David der
katholischen Kirche als Goliath gegenüber, öffnete die Verließe
des Vatikans zugunsten einer liberalen und weltoffenen Theologie,
schreckte letztendlich auch nicht vor der Infragestellung der
Unfehlbarkeit des Papstes zurück.
Auch Ratzinger, sein alter Weggefährte, Professor für Dogmatik, den
seine Lebenswege von Bonn, Münster, Tübingen, Regensburg, München
letztendlich nach Rom führten, war wie Küng Konziltheologe, auch er
gehörte zum elitären und inneren Kreis der Reformtheologen, die das
Zweite Vatikanische Konzil intellektuell beflügelten. In der
Gefolgschaft von Kardinal Frings, dem Kölner Erzbischof, war auch er
einst Streiter für einen Aufbruch ins Ungeahnte, später wurde ihm
dann Verrat an den Ideen seiner Jugend vorgeworfen.
Ratzinger blieb der „Lobredner des Bestehenden“, Küng wollte
mehr und wandte sich der protestantischen Theologie Karl Barths zu,
studierte Jean-Paul Sartre, Sigmund Freud und Marx. Ihn faszinierte
Sartres Freiheitsbegriff, während Ratzinger gegen zu viel Freiheit
und individuelle Selbstbehauptung polemisierte. Küng wollte den
Dialog der Religionen, was ihn letztendlich zu seinem Projekt
Weltethos führte, Ratzinger hielt an der Einheit seiner Kirche fest,
die er im Jahr 2000 mit Dominus Jesus untermauerte. Wie einst
der Franziskanergeneral Bonaventura als Papstberater gegen den
Zeitgeist im 13. Jahrhundert stritt, kämpfte Ratzinger als getreuer
Weggefährte von Johannes Paul II. gegen die „Albträume“ der
modernen Wissenschaft, „gegen die Utopie, die den Menschen
betrügt“, warnte vor der „Beschleunigung der Weltgeschichte“,
vor der Ausbreitung eines ausufernden Individualismus, der
letztendlich die Geschichte auflöst. „Das Einzige, was bleibt“,
so der der platonischen Tradition und Metaphysik verpflichtete
augustinische Idealist Ratzinger, „ist die menschliche Seele, der
von Gott für die Ewigkeit geschaffene Mensch.“ Die Utopie, „die
den Menschen betrügt“ hatte Ratzinger als Professor in Tübingen
zu spüren bekommen, als „über Nacht […] ein vogelfreier
Marxismus putschte“, der Ernst Bloch als „neue Lichtgestalt
feierte“. „Die Zerstörung der Theologie, die nun durch ihre
Politisierung im Sinne des marxistischen Messianismus vor sich ging,
war ungleich radikaler, gerade weil sie auf der biblischen Hoffnung
basierte und sie nun dadurch verkehrte, dass die religiöse Inbrunst
beibehalten, aber Gott ausgeschaltet und durch das politische Handeln
des Menschen ersetzt wurde.“ Die liberale Offenheit der
protestantischen Kirche hat Ratzinger dieser auch immer wieder
vorgeworfen, was auch jüngst Norbert Bolz teilte, als er den
liberalen Protestantismus als Zivilreligion par excellence
stigmatisierte, weil er die großen Themen wie Kreuz, Erlösung und
Gnade inflationiere. Ratzinger wies in aller Deutlichkeit darauf hin,
daß das Christentum nicht in einem bloßen Humanitarismus der
Mitmenschlichkeit kulminieren darf. Christsein bedeutet mehr, denn es
bleibt das Unbedingte, in dessen Bannkreis der Mensch gestellt ist.
Anders wiederum Küng, der von der dialektischen Theologie und
insbesondere von der „Rechtfertigungslehre des Sünders“ des
protestantischen Theologen und väterlichen Freundes Karl Barth
beeindruckt war. Barth hatte nicht nur auf die unendliche Differenz
zwischen Gott und Mensch hingewiesen, das „Ganz-ander-Sein“
Gottes betont, der sich nicht auf menschliche Begriffe reduzieren,
„oder in die Zwangsjacke von Lehrmeinungen stecken“ läßt,
sondern auch, daß es nicht die Leistung des Menschen, vielmehr der
Glaube ist, der ihn vor Gott rechtfertigt. Allein ein wahrer Glaube
steht für eine Reformation an Haupt und Gliedern. Dieses
Protestantische an Küng ist es auch, was ihn zur Ökumene trieb, zum
Gedanken einer wiedervereinigten Kirche. Katholische Kirche, so heißt
es dann in seiner Promotion, und die Rechtfertigungslehre Karl Barths
widerstreiten nicht, es herrscht zwischen beiden eine „grundsätzliche
Übereinstimmung“. Dieses Gemeinsame, das die Religionen verbindet,
unterstreicht Küng mit seinem Projekt Weltethos.
Unterschiedlich ist auch ihre Theologie vom Kreuz, wie Derwahl
herausarbeitet. Während Küng die letzten Tage vor der Kreuzigung
aus dem Blickwinkel des Historischen betrachtet, und die Kreuzigung
als notwendige Folgeerscheinung der Rebellion Christi gegen das
römische Gesetz interpretiert, symbolisiert sich für Ratzinger im
Kreuzestod Jesu nicht nur das Martyrium, sondern die Güte Gottes,
der „sich in unsere Hände begibt, sich uns ausliefert und
sozusagen den ganzen Schrecken der Geschichte mit uns trägt. Tiefer
gesehen läßt uns dieses Zeichen, das uns die Gefährlichkeit des
Wesens Mensch und seine ganze Abscheulichkeiten ansehen läßt,
zugleich den stärkeren, in seiner Schwachheit stärkeren Gott und
das Geliebtsein von Gott anschauen. Gott ist der unbegreiflich
vergebende und in seiner scheinbaren Abwesenheit stärkere Gott.“
Zum Geheimnis des Glaubens gehört für Ratzinger auch die Akzeptanz
des Todes, er plädiert für eine „Kultur des Todes“, kritisiert
die Säkularisierung des Todes seitens der modernen Gesellschaft.
Während Ratzinger in Eschatologie, Tod und Ewiges Leben
(1978) davor warnte, die letzten Dinge in eine politische Metaphysik
zu transformieren, zog Küng in Ewiges Leben (1982) eine
andere Bilanz. Das Festhalten an der bereinigenden Kraft des
Fegefeuers, so seine Kritik, bleibt unvereinbar mit dem heute
erreichten „philosophisch-theologisch-naturwissenschaftlichen“
Denken.
So verwundert es auch nicht, daß sich Küng für den
selbstbestimmten Tod, für die aktive Sterbehilfe stark macht,
während Ratzinger darin eine Selbstüberschreitung des Menschen
sieht, der sich nicht mehr als Geschöpf Gottes, sondern selbst als
Schöpfer versteht. Hier ist für Ratzinger, der Küngs
wissenschaftliche Schriften, mit Ausnahme jener Schrift, die die
Unfehlbarkeit – Unfehlbar? Eine Frage – in Frage stellte,
immer wohlwollend kommentierte und rezensierte, der Rubikon
überschritten, hier gerät die aufgeklärte Vernunft in die
Modernitätsfalle. Während der eine an den Grundfesten des
Christentums rüttelt, zieht der andere die Schlingen um den
christlichen Glauben um so fester.
Wider Erwarten hat die sich auf ihre Traditionen besinnende Kirche
Konjunktur. Der Leidensweg, den Ratzingers Freund Papst Johannes Paul
II. nach seinem Golgatha ging, beeindruckte nicht nur die ältere
Generation. Viele sehen, auch wenn sie katholisches Lehramt und Dogma
kritisieren, in dieser Kirche den Willen zum Standhalten gegen eine
ungewisse Zukunft, eine Bastion, die bei aller rasenden
Beschleunigung für Entschleunigung steht, die – gerade in der
Person Benedikt XVI. – gegen ein ausgehöhltes Wertesystem, gegen
einen immer stärker in Kraft tretenden Frühkapitalismus anstreitet.
Dieses Standhalten macht Eindruck.
Kurzum: Derwahl gibt einen spannenden Einblick in die aktuellste
Kirchengeschichte, die die ehemaligen Weggefährten Ratzinger und
Küng zu ihren Hauptzeugen macht. Darüber hinaus gewährt er auch
tiefe Einblicke in die beiden kirchlichen Lager, in das liberale und
in das konservative. Über das Zweite Vatikanische Konzil erfährt
der Leser viele Hintergrundinformationen, auch und insbesondere über
die Macht- und Besetzungspolitik im Apostolischen Palast. Derwahl
zeigt sich als objektiver Betrachter, der als kritischer Gläubiger
auch für eine starke kirchliche Opposition plädiert. Doch zwischen
den Zeilen wird seine Sympathie für den einst einsamen Wanderer von
Fürstenried deutlich spürbar.
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